Jörg Immendorff

1945 geboren in Bleckede (bei Lüneburg), Deutschland
2007 gestorben in Düsseldorf

Jörg Immendorff

1945 geboren in Bleckede (bei Lüneburg), Deutschland
2007 gestorben in Düsseldorf

Persönliche Daten

1963-64 Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf
(zunächst 3 Semester Bühnenbild bei Theo Otto, 1964 Aufnahme in die Klasse von Joseph Beuys)
1965-66 verschiedene Aktionen und Manifestationen an der Kunstakademie
1968-70 LIDL-Kunstaktionen in Düsseldorf und in anderen Städten des In- und Auslandes
1969 Verweis von der Akademie wegen seiner provokanten Aktionen
1968-80 Kunsterzieher in Düsseldorf
1976 erste Begegnung mit dem Künstler A.R. Penck in Ostberlin; erstes gemeinsames Kurzmanifest zur Zusammenarbeit als Kollektiv
1979 Mitarbeit in der Grünen / Bunten-Bewegung, „Initiative Bunte Liste Düsseldorf“
1981 Gastprofessur an der Konsthögskolan in Stockholm
1984 Eröffnung des Café Paloma, St. Pauli, Hamburg
1984-85 Gast-Lehrtätigkeit an der Werkschule Köln und an der Akademie der Bildenden Künste, München
1986 Bühnenbild und Kostüme zu Richard Strauss’ Oper „Elektra“ am Bremer Stadttheater
1989-92 Professur an der Städelschule in Frankfurt am Main
1996 übernimmt eine Professur an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf
1997 Auszeichnung mit dem hochdotierten „Premio Marco 1996“ des Museums für Moderne Kunst in Monterrey, Mexiko für sein Gesamtwerk
1997 Ernennung zum Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Salzburg
1998 erhält den „Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland“
2002 Gastdozentur an der Pekinger Kunstakademie; Bühnenbild und Kostüme für die Oper “Die Nase“ von Dimitri Schostakowitsch, Staatsoper unter den Linden
2006 Verleihung des Goslarer Kaiserrings


Zum Werk

Der Maler, Grafiker und Aktionskünstler Jörg Immendorff gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Nachkriegsgeneration. Die gesellschaftlichen Fragestellungen der 1960er Jahre und die kritische Auseinandersetzung mit seinem Lehrer und Vorbild Josef Beuys bewirken eine zunehmende Politisierung Jörg Immendorffs. Bereits während des Studiums begann er Kunst und Leben in einem radikal politischen Sinn miteinander zu verbinden – einer der Grundfragen Immendorffs war die nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst.

Von linken Agitprop Aktionen kam Immendorff zu großen gegenständlich gemalten Tableaux voller Anspielungen, in denen er sich thematisch mit dem Künstler als Gestalter von gesellschaftlichen Veränderungen auseinandersetzte oder, wie in einer seiner bekanntesten Bildserien „Cafe Deutschland“, in der die Teilung Deutschlands thematisiert wird. Dieser großformatige 16-teilige Werkzyklus entsteht zwischen 1977 und 1983 und war von Renato Guttusos „Caffè greco“ inspiriert. In den in grellen Farben realistisch-expressiv gemalten „Café Deutschland“- Bildern, wird das Cafehaus zur mehrdeutigen, fiktiven deutsch-deutschen Bühne voller Akteure, Symbole und Anspielungen.

In der „Café de Flore“-Serie (1987-92) inszeniert Immendorff seine Auseinandersetzung mit der modernen Kunst und reflektiert gleichzeitig - im Kreise von Künstlern aus Vergangenheit und Gegenwart - sein Künstlerdasein. Die Figuren auf seinen Bildern stammen nun fast ausschließlich aus dem Kunstkontext, auf den er sich zurückzieht.

Die Freundschaft mit dem Dresdner Künstler A.R. Penck, der in der DDR starken Repressalien ausgesetzt war, führt zu Werken (zum Teil gemeinsam mit Penck, der 1980 in die BRD ausreisen konnte) mit dem Thema der Teilung Deutschlands. In den späten 80er und frühen 90er Jahren sind die großformatigen Tableaux von Immendorff deutlich von der Skepsis getragen, wieviel der Künstler wirklich gesellschaftlich bewegen kann. Seine künstlerischen Aktionen im Hier und Jetzt hinterfragen seine eigene Position in der Gesellschaft, aber auch die Aufgabe der Malerei im Besonderen. Insgesamt strotzen die Werke Immendorffs nur so vor Vitalität und Dynamik. Erzählwut und Verrätselung sind dabei Teil seiner Bildkonzepte.

Eine Hommage an das Sammlerehepaar Essl stellt das großformatige Werk „In meinem Salon ist Österreich“ von 1996 dar, mit Frau Essl als Gastgeberin für österreichische Kunstschaffende, darunter Maria Lassnig, Arnulf Rainer, Christian Ludwig Attersee, Günter Brus und Hermann Nitsch. Formell und inhaltlich auf der Idee der „Café de Flore“-Serie basierend, enthält dieses Gemälde auch Anspielungen auf den berühmten Salon der Berta Zuckerkandl-Szeps, wo sich die bekanntesten Künstlerpersönlichkeiten der Jahrhundertwende wie etwa Gustav Klimt, Gustav Mahler und Arthur Schnitzler austauschten.

1997 erfährt der Künstler, dass er an einer seltenen Nervenkrankheit leidet, die zuerst die Gliedmassen erfasst und unweigerlich zum Tode führt. In den folgenden Jahren werden die Bilder des Künstlers ruhiger, existenzieller, er zitiert öfter aus der klassischen Kunstgeschichte, besonders aus den Werken des deutschen Manieristen Hans Baldung Grien. Nach 2004 kann Immendorff nicht mehr selber malen und leitet Assistenten an, die seine Bildentwürfe malerisch umzusetzen haben. Diese Werke verdichten sich zu raffinierten Erzählungen, angereichert mit kunsthistorischen Zitaten und biografischen Elementen und werden immer mehr zu Reflexionen über die Vergänglichkeit. Die Gestalten auf den Bildern wirken oft wie aus Darstellungen aus der Apokalypse. Bei dem Werk „Ohne Titel“ von 2005 tragen zwei Affen das Wort „Kunst“ weg. Der Affe kommt häufig in den Werken Immendorffs vor, das klassische Symbol der Nachahmung der Welt durch die Kunst (nachäffen) setzt er als sein persönliches Malertotem ein, oft ist der Künstler nur durch den Affen auf den Bildern vertreten. Dass die Affen das Wort Kunst wegtragen, mag soviel bedeuten, dass es ohne Kunst kein Leben für Immendorff gibt.

Das Werk „Kampf der Zeit“ stammt von 2006. Menschen mit verbundenen Augen werden von Monstren zu einem Tor geleitet, in dem leeren Raum dahinter sieht man eine Figur im Rollstuhl, wohl ein Symbol für den Künstler, der zu dieser Zeit schon lang daran gefesselt war. Vom jugendlichen Kämpfer zum Kampf (mit) der (verbleibenden) Zeit; diese Werke sind eindringliche Zeugnisse künstlerischer Auseinandersetzung mit Krankheit, Verfall und Tod.

Lucie Binder-Sabha und Andreas Hoffer

Jörg Immendorff im Atelier 19951 / 6
Aus 13-teiliger Serie: In meinem Salon ist Österreich2 / 6
Wartebiene II3 / 6
Café de Flore4 / 6
Ostjörg5 / 6
Kampf der Zeit6 / 6
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