Daniel Spoerri

1930 geboren in Galati, Rumänien
Lebt und arbeitet in Wien und in Seggiano, Toskana

Daniel Spoerri

1930 geboren in Galati, Rumänien
Lebt und arbeitet in Wien und in Seggiano, Toskana

Persönliche Daten

1942 Flucht mit der Mutter und 5 Geschwistern von Rumänien nach Zürich
1949 Spoerri lernt Jean Tinguely und Eva Aeppli kennen
1952 Stipendium für ein Tanzstudium in Paris
1954-57 Solotänzer im Ballett des Stadttheaters Bern
1957-59 Regieassistent am Theater Darmstadt; anschliessend Rückkehr nach Paris
1960 Mitunterzeichner des Manifestes des Nouveaux Réalisme, erste Fallenbilder entstehen
1964 Aufenthalt in New York, Chelsea Hotel
1968 Eröffnung des Restaurant Spoerri in Düsseldorf
1970 Eröffnung der Eat Art Galerie über dem Restaurant; Veranstalten mehrerer Bankette nach Konzepten Spoerris
1977 das erste Le musée sentimental entsteht
1977-82 unterrichtet an der Fachhochschule für Kunst und Gestaltung, Köln
1983-89 Professur an der Kunstakademie, München
1987 Gastdozent an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien
1992 Gastdozent an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien
1997 Einweihung der Stiftung „Hic terminus haeret – Il Giardino di Daniel Spoerri“ in Seggiano, Toskana
2008 erhält den Ambrogino d’oro, Kulturpreis der Stadt Mailand
2009 Eat Art & Ab Art, Restaurant und Kunstschaulager in Hadersdorf wird eröffnet

Zum Werk

Daniel Spoerri, der sich selbst als „Handlanger des Zufalls“1 bezeichnet, ist als Künstler in den verschiedensten Bereichen tätig: Objekt-Assemblagen, Skulpturen und Koch-Happenings kennzeichnen sein umfangreiches ¼uvre. Der Mitbegründer des Nouveaux Réalisme und Erfinder der Eat Art hat aber auch als Gartengestalter in seiner Fondazione in Seggiano, vor allem durch monumentale Bronzeskulpturen innovatives Neuland betreten.

Spoerri erobert sich in den 1960er Jahren mit den sogenannten Fallenbildern (Tableaux pièges) sein eigenes Terrain. Zufällig auf dem Tisch oder in einer Schublade liegende Objekte werden wie bei einer Fotografie exakt in ihrer Position festgehalten und für immer fixiert, das heißt, der zufällige Moment wird dreidimensional mit den realen Gegenständen eingefroren und zum Kunstwerk umfunktioniert.

Weltberühmt wurde Spoerri mit den Fallenbildern seiner Bankette, wenn er den schönsten Augenblick eines gemeinsamen Abendessens mit Freunden plötzlich beendete und das Durcheinander der benutzten Gläser und Teller mit Essensresten genauso auf dem Tisch beließ, wie in jenem Moment, als er verkündet: “Die Falle schnappt zu!“ Niemand durfte mehr die Gabel oder das Glas verrücken. Jeder Gegenstand wird von Spoerri minutiös umzeichnet, um die exakte Position am Tisch zu bestimmen, anschließend mit Spezialleim für immer an die Tafel geklebt und als Kunstwerk an die Wand gehängt.

Spoerri geht etwas später dazu über seine Fallenbilder auch zu inszenieren, und bezeichnet sie konsequenterweise als „falsches Fallenbild“. Unsere „Assemblage mit dem Kopf eines Pferdes“ von 1990 stellt eine Kombination von Zufall und Inszenierung dar und steht mit seinem Vanitasmotiv, dem Pferdeschädel, in der Tradition von Stilllebendarstellungen. Zum Konzept der Fallenbilder bemerkt Spoerri: „Eine wichtige Motivation, die man aus meiner Sicht nicht genug unterstreicht, war, dass ich einen Zeitpunkt meiner Lebensgeschichte an der Wand befestigte.“2

Das Prozesshafte, der Zyklus von Leben und Tod faszinieren Daniel Spoerri, daher hat er es sich zur Aufgabe gemacht, das Kochen, den Geschmackssinn des Menschen, sowie seine Eßgewohnheiten zu hinterfragen und als Teil des Lebenszyklus in seiner Kunst unter dem Begriff Eat Art genauer zu erforschen. Als Antithese zur Bewegung, bzw. zum Prozeß sieht Spoerri die fixierte Situation, den Stillstand. So entwickelte sich die Idee zu seiner Objektkunst und den Fallenbildern.

Im angemieteten Atelierraum des Hospital Ephémère in Paris entsteht 1989/90 die skulpturale Werkserie „Corps en morceaux (Körper in Teilen)“. Diese Serie von barocken Vanitas-Assemblagen kennzeichnet der überbordende und phantsievolle Umgang mit Gegenständen, die in einem spannungsvollen Dialog zueinander montiert werden. Völlig widerspüchliche und zufällig aufgefundene Objekte, wie zum Beispiel ein roter Pferdekopf, eine schwarze Maske mit Hörnern und ein durchsichtiges Damenbein einer Schaufensterpuppe werden in dem Werk „Das rote Pferd“ von 1991, welches zu dieser Serie gehört, zu einem Kunstobjekt vereint. Spoerri experimentiert mit seinen komplexen Objektformationen fortwährend zwischen der assemblage-minute (begründet von Marcel Duchamps ready made) und der assemblage-élaboré.

Mitte der 1990er Jahre entstehen mehrere Werkserien, die unter dem Oberbegriff „Le Cabinet Anatomique“ zusammengefasst werden. Als Inspirationsquelle dienen hier alte medizinische Stiche, die er auf Flohmärkten aufspürt.
In der 16-teiligen Serie „Die operative Medizin nach...“, entstanden in den Jahren 1993-1996 wird ein künstlerischer Dialog zwischen dem Abgebildeten auf den Stichen und den aufgeklebten Objekten hergestellt. Durch Hinzufügen eines roten haubenartigen Stoffes und zwei „bebrillten“ Augen wird ein langweiliger Beckenknochen von Spoerri zu einem witzigen Gesicht uminterpretiert. In einer anderen Objektassemblage ist die dramatische Darstellung einer Frau im Stützkorsett, zur Bewegungsunfähigkeit verdammt, durch gestickte Efeublätter und zungenförmige Perlenstränge entschärft und gleichzeitig irritieren diese grünen Applikationen den Betrachter. Im dritten Stich werden operative Eingriffe an der Wange und an den Lippen demonstriert, wobei der Künstler die Nähte mit zwei goldenen Sicherheitsnadeln verstärkt und eine kleine dekorative Schere symbolisch für die Tätigkeit des Chirurgen platziert. Spoerri inszeniert seine objects trouvés auf den Bildtafeln wie in einem Schaukasten, dabei interessiert ihn das Experimentelle und das Spielen zwischen mehreren Ebenen der Lesbarkeit am meisten. Vor allem bei den anatomischen Stichen erweckt es den Anschein, als operiere der Künstler durch seine Eingriffe ein zweites Mal.

Annette Stein
 

1) siehe: Otto Piene und Heinz Mack (Hg.), ZERO, Nr.3, Juli 1961. Hierbei handelt es sich um den frühesten Text über die Fallenbilder.
2) Heidi E. Violand-Hobi, Daniel Spoerri. Biographie und Werk, München u.a.: Prestel Verlag, 1998, S. 23.


 
Daniel Spoerri1 / 8
Assemblage mit dem Kopf eines Pferdes2 / 8
Assemblage mit dem Kopf eines Pferdes (Schrägansicht)3 / 8
Vagina Dentata4 / 8
Das Rote Pferd5 / 8
Das Rote Pferd (Seitenansicht)6 / 8
Die operative Medizin nach...7 / 8
Die operative Medizin nach...8 / 8
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