Der Begriff "Szene" umfasst in dieser Ausstellung sehr verschiedene Zusammenschlüsse von Künstlern. Szenen können sowohl von
Künstlern initiierte Projekträume (artist-run spaces, Offspaces) sein, als auch klassische Ateliergemeinschaften; Künstler,
die thematisch oder medial ähnlich arbeiten, aber insbesondere auch Künstler, die freundschaftlich verbunden sind oder gemeinsam
studiert haben. All diese Formen der künstlerischen Selbstorganisation finden abseits vom Kunst- und Ausstellungsmarkt statt
und sind für den Museumsbesucher sonst nicht sichtbar.
Zentrale Schlüsselfiguren jeder Szene agieren als Künstler-Kuratoren. Sie entscheiden, welche Künstler aus ihrer Szene im
Ausstellungsbeitrag vertreten sind, verfassen Katalogtexte bzw. beauftragen einen Autor und bespielen schlussendlich jeweils
einen ca. 70m2 großen Ausstellungsraum.
AMSTERDAM
Die Ateliergemeinschaft der niederländischen Malerin Helen Verhoeven und vier ihrer Künstlerkollegen entstand durch ein Stipendium
der Rijksakademie van Beeldende Kunsten, eine der führenden Kunstschmieden weltweit. Themen wie Erinnerung, Angst und andere
Belastungen der Psyche verbinden die Werke der vorwiegend in den Medien Video, Malerei und Fotografie arbeitenden Künstler.
Janice McNab hat zwei befreundete Künstler aus ihrer Szene eingeladen, die sich den "dekorativen Aspekten in der Malerei"
verpflichtet haben. Die drei Künstler kommen aus Italien, Norwegen und Schottland und leben in Amsterdam.
WIEN
Ebenso dem "Erwachen des Dekorativen" widmet sich ein ähnlich agierender Verbund von Künstlern unter der Leitung der Künstler-Kuratorin
Bernadette Rosa Müller. Jeder der aus Vorarlberg stammenden Künstler, nähert sich von einem individuellen Standpunkt an das
von Müller definierte Thema "Natur/Landschaft" und setzt es in unterschiedlichen Medien (Malerei, Collage, Fotografie, Objektkunst)
um.
Die Werftgalerie, gegründet von Moussa Kone und dem Literaten Erwin Uhrmann, ist ein "hotspot" in der Wiener Offspace-Szene.
Gestohlene Kunst, die durch eine "Kunstklappe" in der Werftgalerie retourniert werden kann, wird durch den Verein Kunstwerft
katalogisiert, archiviert und im "International Art Loss Register" verzeichnet. Für >hotspots< zeigt Kone eigene, als auch
Arbeiten von vier weiteren Künstlern, die wesentlich an der Programmgestaltung der Werftgalerie beteiligt sind. Die gesamte
"Sammlung gestohlener Kunst" wird in der Sammlung Essl ausgestellt und ein anonym retourniertes Kulturgut anlässlich der Eröffnung
seinem ursprünglichen Besitzer übergeben.
PARIS
Das Künstlerkollektiv 1.0.3 zeigt Arbeiten anderer französischer Künstler, allerdings nicht "real", sondern anhand kartografischer
Computerscans (sog. Planiscopes). Katalogautor und Forscher Luc Dall'Armellina: "Nachdem wir das Genre [Porträt] in all seinen traditionellen künstlerischen Ausformungen erlebt haben, setzt uns die Kunst
von 1.0.3 nun eine mentale Karte vor, die Signifikanten (Wörter) und Interpretiertes (das Planiscope) enthält. [
] Kunst mit
Wissenschaft UND Wissenschaft mit Kunst, die Pforte wurde mit großer Finesse geöffnet. Die Datenlandschaft hat nun auch eine
Zukunft im Porträt."
Auch die zweite Kunstszene aus Paris ist keinem klassischen Medium verpflichtet symptomatisch für die stark von Konzeptkunst
beeinflusste Metropole. Loris Gréaud / Olivier Bardin haben u.a. Designer, Kuratoren und Musiker eingeladen, Texte nach einem
von den Kuratoren definierten Format für eine in >hotspots< erstmals präsentierte Soundinstallation zu verfassen. Den Ausstellungsbesuchern
wird die Möglichkeit angeboten, durch das Tragen mobiler Empfangsgeräte aktiv in die Ausstellung einzugreifen.
BERLIN
"Wie in keiner anderen Hauptstadt Europas ist hier Raum kein Luxus, die Immobilienpreise sind im Keller und selbst im schicken
Stadtteil 'Mitte' können noch Leerstände künstlerisch zwischengenutzt werden. Neben der Politik ist die Kunst Berlins zentrale
Dienstleistung." (Judith Marth, Katalogautorin).
Gemeinsam mit vier Kolleginnen definiert Annette Gödde anhand von Installationen, Videos, Fotografien und skulpturalen Arbeiten
den vormals luftig leichten Ausstellungsraum der Sammlung Essl neu indem sie ihn durch eine Hartfaserverkleidung abriegelt.
In diesem neu geschaffenen Raum agieren die Künstlerinnen weiter, dehnen dessen Grenze bis in den öffentlichen Raum aus: An
vier ausgewählten Stellen in Wien werden bewusst nachlässig gearbeitete weibliche Silhouetten aufgestellt und dadurch ein
Stück anarchistisches Berlin in das barocke Wien getragen.
Barbara Sturm, eine in Berlin lebende Österreicherin, zeigt in ihrem mobilen non-profit space, "Galerie 1:10", Künstler, die
selber Ausstellungsräume in Berlin hatten oder noch haben und sich dadurch in diesen Szenen bewegen. Die Galerie 1:10 ist
ein von Sturm entwickeltes Modell einer fiktiven Galerie im Maßstab 1:10, das seit 2001 an unterschiedlichen Orten als bespielbarer
Ausstellungsraum funktioniert. Die beteiligten Künstler passen ihre Werke an den verkleinerten Maßstab des Galeriemodells
an. Arbeiten der vorhergehenden Ausstellungen werden im angefügten Depot im Zustand ihrer Lagerung in dieser Miniatur-Galerie
ausgestellt.
LONDON
Luke Gottelier und Francis Upritchard gründeten 2001 in einem der zwielichtigsten Stadtviertel das "Bart Wells Institute".
Dieser 800 m2 umfassende Offspace hatte nur kurze Zeit Bestand, galt jedoch als einer der Highlights in der Londoner Ausstellungsszene.
Gottelier veranstaltet für >hotspots< einen "Revival" des harten Kerns des Bart Wells Institutes, der sog. Bart Wells Gang.
Möglicherweise handelt es sich dabei um die neue Generation der "Young British Artists"?
Kamini Vellodi hat die Thematiken der vier, von ihr ausgewählten Künstler unter dem Titel "Metamorphose und das Subjekt" überzeugend
subsumiert. Alle Künstler dieser Szene haben vor kurzem ihr Studium am Royal College of Art in London beendet, die ähnlich
wie die Reichsakademie in Amsterdam, eine der führenden Kunstschmieden Europas ist.
CURATOR'S SPOT
Die Kuratorin von >hotspots<, Christine Humpl, integriert eine elfte, "künstliche" Szene in die Ausstellung. Sie hat aus Amsterdam,
Berlin, London, Paris und Wien je einen Künstler in ihren "Curator's Spot" eingeladen.
Christine Humpl konzentriert sie sich darin auf einen möglichen, aufkeimenden Trend in der zeitgenössischen Kunst: die Hinwendung
zu einer floral-ornamentalen Ästhetik. Eingeladen sind Aldo Giannotti (Wien), Julien Discrit (Paris), Anne Wenzel (Amsterdam/Rotterdam),
Marisa Favretto (London) und Ina Bierstedt (Berlin).
Teilnehmende Künstler
AMSTERDAM: Janice McNab (Künstler-Kuratorin), Renato Galante, Hanneline Visnes, Helen Verhoeven (Künstler-Kuratorin), Hala Elkoussy,
Meiro Koizumi, Chiara Pirito, Stefanos Tsivopoulos
BERLIN: Annette Gödde (Künstler-Kuratorin), Katinka Bock, Nine Budde, Heike Gallmeier, Beatrice Jugert, Barbara Sturm (Künstler-Kuratorin), Gert Bendel, Frederik Foert, Andreas Koch, Alena Meier, Annette Ruenzler, Albrecht Schäfer, Dominic Wood, Vanessa Wood
LONDON: Kamini Vellodi (Künstler-Kuratorin), James Connelly, Thomas Hylander, Julian Simmons, Katsutoshi Yuasa, Luke Gottelier (Künstler-Kurator), Sam Basu, Brian Griffiths, Francis Upritchard
PARIS: Olivier Bardin & Loris Gréaud (Künstler-Kuratoren), Fabienne Audéoud, Laetitia Badaut, Pierre Denan, Christelle Lheureux, Laurent Massaloux, Daniel Perrier, Collectif 1.0.3: Anne Couzon Cesca, Francois and Arnaud Bernus (Künstler-Kuratoren); Sophie Dejode & Bertrand Lacombe, Céline Duval, Le Gentil Garçon, Cécile Hartmann, Pierre Leguillon, Ingrid Luche, Audrey Marlhens, Robert Rudolf, Kristina Solomoukha, Shingo Yoshida
WIEN: Bernadette Rosa Müller (Künstler-Kuratorin), Astrid Bechtold, Alfred Graf, Christoph Luger, Moussa Kone (Künstler-Kurator), Amina Broggi, Christian Eisenberger, Nilbar Güres, Bernhard Hosa
CURATOR’S SPOT: Ina Bierstedt / Berlin, Julien Discrit / Paris, Marisa Favretto / London, Aldo Giannotti / Wien, Anne Wenzel / Amsterdam /
Rotterdam