An die 85 Arbeiten, Aktionsfotos, Zeichnungen und Bild-Dichtungen hat das Sammlerehepaar Agnes und Karlheinz Essl zusammengetragen
und somit einen vielfältigen Einblick in das komplexe Oeuvre von Günter Brus ermöglicht. "Es muß wohl Ende der 70er Jahre
gewesen sein, als ich die Bild-Dichtungen erstmals sah. Ich war ergriffen vom Strich des Künstlers und der Kombination von
Zeichnung und Schrift", schildert Karlheinz Essl seine erste Begegnung mit den Werken von Brus.
Die Kollektion der Arbeiten von Günter Brus in der Sammlung Essl ist die größte Brus-Sammlung in Österreich und ihre Auswahl
kann durchaus auch international bestehen. Den Schwerpunkt ihrer Sammlungstätigkeit legten Agnes und Karlheinz Essl auf den
Erwerb von großformatigen Bild-Text-Arbeiten aus den 80er und 90er Jahren. Ergänzt wird diese Auswahl neuerer Bilder durch
Werke älterer Werkphasen. So läßt sich der Werdegang des Künstlers vom abstrakten Expressionismus bis hin zu den "Selbstbemalungen"
mit Hilfe von frühen informellen Werken, Aktionszeichnungen und der gesamten Aktionsmappen-Edition verfolgen.
Auch die 70er Jahre sind mit Werken repräsentativ vertreten, die die Entwicklung des Künstlers vom Zeichner zum Bild-Dichter
belegen. Die beeindruckende Komplexität der Brusschen Bild-Sprach-Kunst wird besonders deutlich durch das literarische und
bimediale 72-teilige Hauptwerk "Weisser Wind" aus den 80er Jahren.
Großformatige Werke der 80er und 90er - zum Teil auf Leinwand - dokumentieren die ungeheure Schaffenskraft von Brus. Hier
sind insbesondere die Werke "Vertikalschmerz", "Neuer Schilfgesang" und die Bild-Dichtung "Das Inquisit" zu nennen. Mit 29
Jahren, im Sommer 1968, ist der damalige Aktionist und heutige Staatspreisträger Günter Brus wohl der umstrittenste Künstler
Österreichs. Auf Grund seiner "Körperanalyse" im Rahmen der Veranstaltung "Kunst und Revolution" an der Wiener Universität
erklärt man Brus in einer Pressekampagne zum "meistgehaßten Österreicher".
Inzwischen sind weitere 30 Jahre im Leben des Künstlers vergangen und Brus wird als einer der herausragendsten und vielseitigsten
Künstlerpersönlichkeiten des Landes geschätzt und gefeiert. Sowohl sein Beitrag zum österreichischen Aktionismus in den 60er
Jahren wie auch seine seit den 70er Jahren enstehenden bildnerisch-literarischen Grenzüberschreitungen sind ein unauslöschlicher
Bestandteil der österreichischen Kunstgeschichte.
Brus, der als Zeichner in der Nachfolge von William Blake und Alfred Kubin gesehen wird, ist, auf Grund seiner farblich-malerischen
und sprachlichen Qualitäten, die besonders in seinen großformatigen Werken augenscheinlich werden, ebenso im internationalen
Kontext von Künstlern wie Cy Twombly und Dieter Roth verankert. Auch merkt man an seinen zeichnerischen Bild-Dichtungen, daß
der körperliche Einsatz von Brus nicht auf seine Aktionskunst beschränkt geblieben ist. "Aus jeder vibrierenden Linie einer
Zeichnung spricht eine aktionistische Arbeitsweise, die sich gegen eine funktionalistisch-rationalistische Verengung menschlichen
Daseins wendet", analysiert die Kunsthistorikerin und Brus-Spezialistin Johanna Schwanberg in ihrem Katalogbeitrag die Werke
des Künstlers.
Am Besten ist das Schaffen von Brus in seiner Gesamtheit zu verstehen, wenn man die aktionistischen, die zeichnerisch-malerischen
und die literarisch-philosophischen Arbeiten als ein Gesamtkunstwerk sieht.
Die Ausstellung im Schömer-Haus ermöglicht dem Besucher diese Betrachtungsweise auf das Werk eines der faszinierendsten Künstler
der Gegenwart. Ein umfassender Katalog zur Ausstellung dokumentiert die gesamte Brus-Kollektion in der Sammlung Essl und liefert
mit der retrospektiven, von Johanna Schwanberg verfaßten Werkbiografie einen wesentlichen Beitrag zur Rezeption der Werke
von Günter Brus.