Die Sammlung bietet mit 4500 Werken einen Einblick in die Kunst des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Die Bandbreite,
seit den 90er Jahren auch international ausgerichtet, reicht vom Informel über den "Wiener Aktionismus" und die realistischen
Tendenzen der 70er, bis zur "Neuen Malerei" der 80er Jahre und zum Stil- und Medien-Pluralismus der Gegenwart. Beispiellos
ist die österreichische Malerei seit 1945 dokumentiert und in einen internationalen Kontext gestellt.
"Permanent 02 vermittelt neue, spannende Einsichten in die Sammlung und ihre internationale Entwicklung der letzten Jahre.
Die Ausstellung zeigt Werke, die bisher selten zu sehen waren - viele davon werden erstmals präsentiert. Die Säle sind thematisch
geordnet, so treten die Werke in visuelle Dialoge oder werden auf ungewöhnliche Weise präsentiert. Mit einer Wand, wie im
Depot gehängt, wird die konzentrierte Arbeitsweise Arnulf Rainers besonders anschaulich. Dem "Wiener Aktionismus", einem aufregenden
Beitrag Österreichs zur Gegenwartskunst, widme ich einen eigenen Raum. Die "Aboriginal Art" und sogenannte "westliche" Kunst
treffen aufeinander. Die Galerie 7 kristallisiert sich zunehmend zu einem Projektraum, den Künstler bearbeiten. Die von Peter
Kogler für die Sammlung Essl entworfenen Module verdichten diese Galerie zu einem Raumkunstwerk."
(Karlheinz Essl)
POESIE DER ABSTRAKTION
Galerie 1
Ab 1985 tritt bei Hubert Scheibl eine Konzentration auf eine einzige, das Gemälde bestimmende Farbe auf. So nimmt bei der
Arbeit "O" von 1995/96 die vitale Kraft der roten Farbfläche den Betrachter gefangen.
"Es ist mir ein wichtiges Anliegen, die molekulare Energie der Farbe als Materie so zu behandeln, dass die Schichten nie ganz
ineinander übergehen. Zwischen den Farbschichten zirkuliert die Luft."
(Hubert Scheibl)
Erwin Bohatsch verdichtet stille Farbkontraste zu Schichten voll subtiler Transparenz, die sich dem Blick des Betrachters
wie fließende Schleier öffnen. Beide Bilder von Bohatsch im farbigen Zusammenspiel mit einer weiteren Arbeit von Hubert Scheibl
zähmen die Energie der roten Farbe und führen zu elementaren Formen der Natur, die in den Arbeiten von Herbert Brandl und
Per Kirkeby erfahrbar werden.
Für Herbert Brandl sind es die sich langsam entwickelnden Kräfte der Natur, die mit der physischen Kraft der Farbe und der
Geste einen immateriellen Raum entstehen lassen. Innenansicht und Außenwahrnehmung führen bei Brandl zu mutigen Farb-kombinationen,
die auch das Unmögliche zulassen.
"Ich möchte den persönlichen Gestus nicht betonen. Ich versuche, ihn zu relativieren, ihm irgend etwas entgegenzusetzen, das
ihn stört oder in eine andere Richtung bringt - etwas Fremdes..."
(Herbert Brandl)
Der dänische Künstler Per Kirkeby spricht von der Stofflichkeit, die ihn fasziniert. Die Sedimentation hauchdünner Schichten,
das Entstehen von Löchern werden von ihm bis ins Detail erforscht,
"wo man nicht mehr weiß, ob große Dinge kleine Dinge sind, ob etwas ähnlich ist oder nur malerischer Stoff."
(Per Kirkeby)
Bildräume aus imaginärem Licht voll visueller Poesie: Vermeint man bei Per Kirkeby einzelne Lichtquellen zu entdecken, so
scheint bei Erwin Bohatsch das Licht in den Flächen zu schimmern; bei Hubert Scheibl wird es nebeldickes Weiß oder durchbricht
kraftvoll strahlend das Rot und öffnet bei Herbert Brandl den oberen Bildraum mit einem flirrenden Gelb.
Maria Theresia Moritz
DER KÖRPER UND SEINE BRÜCHIGKEIT
Galerie 2
Maria Lassnig beschreibt ihre Körper-Befindlichkeiten und ihre Beziehung zur Umwelt über die Malerei. Gefühle wie das "durch
die Wand gehen" oder der Verlauf des weiblichen Lebenszyklus werden thematisiert. Lassnigs Malerei ist von sensiblem Farbempfinden
geprägt.
"Der Begriff Körpergefühl sagt, was er sagt, dass es sich nicht um ein psychisches, sondern ein physisches Gefühl handelt,
dass dies eine sehr temporäre Sache ist..."
(Maria Lassnig)
Während es in der Malerei von Maria Lassnig um sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper geht, stehen für
Georg Baselitz formale, kunstimmanente Fragen der Bildgestaltung im Zentrum seines Interesses. Durch Umkehrung werden die
Motive ihrer erzählerischen Funktion enthoben und der Blick des Betrachters auf die Malerei gelenkt. Selbst der eigene Körper
wird, z.B. bei "Fingermalerei Akt", zum Objekt malerischer Problemstellungen. In den frühen Frakturbildern, die vor den Umkehrungen
entstanden, wie etwa "Hockender Hund", zerschneidet Baselitz den Gegenstand und beschädigt so dessen Form. Brüchigkeiten der
Oberfläche sind auch als Beschädigungen menschlichen Bewusstseins zu lesen.
Siegfried Anzingers gesichtlose Gestalten wie auch die vom Betrachter abgewandten Figuren tauchen undeutlich auf, sind nur
flache Erscheinungen in der Malfläche. Sie geben wenig bis gar keine Auskunft über sich und ihr räumliches Umfeld. Anzinger
arbeitet mit Leimfarbe auf Leinwand. Das Farbpigment wird in Leimwasser aufgelöst und die Leinwand mit Terpentin ausgewaschen.
Dieser Vorgang verleiht den Bildern ihren wässrig-fließenden Charakter. Der Pinselstrich ist bewegt und legt den Entstehungsprozess
offen.
Kunsthistorisch orientierte Auflösungen des Gegenstandes findet man in den Werken von Markus Lüpertz. In seinem Zyklus zu
Arbeiten von Nicolas Poussin zerstückelt und deformiert Lüpertz die Vorbilder in einer mit Picasso vergleichbaren Handschrift.
Auch Lüpertz unterzieht den menschlichen Körper einer analytischen Umwandlung. Bedrohliche Masken und geometrische Figuren
umschließen die Körper wie ein Netz. Die Körperfragmente selbst berühren einander und stellen so eine Verbindung zum Motiv
des Vorbildes her: Adam und Eva in Poussins "Frühling" von 1660-64.
In Relation zur malerischen Umsetzung von Körpervolumen und seiner Fragilität sind die Marmorskulpturen von Marc Quinn zu
sehen. Quinn thematisiert Missbildungen des menschlichen Körpers, ausgelöst durch die Einnahme des Medikamentes Kontergan.
Das Fehlen von Gliedmaßen setzt Quinn in Beziehung zu den Torsi antiker Figuren. Klassische Manier und weißer Marmor überhöhen
die dargestellte Person und berauben sie ihrer Individualität.
Die Behinderung wie auch die Schwangerschaft betonen dagegen kontrastreich die Körperlichkeit. Die Spannung des Werkes begründet
sich aus dieser extremen Polarisierung. Quinn untersucht das "Bewohnen" eines Körpers und "Verkörperungen".
Elke Zingler
MALEN OHNE SICHERHEIT
Galerie 3
Gewünschte Absichtslosigkeit und das Nicht-Kontrollierbare prägen die Informelle Malerei der 50er Jahre. Aus Körperbewegung und dem sich daraus ergebenden Gestus entsteht der spontane Malakt. Das Bild geschieht in einem sich selbständig machenden Malprozess.
Die fast monochrom rote Fläche in "Red on White. Los Angeles III" von Markus Prachensky bezieht ihre Spannung aus den minimalen
Aussparungen der weiß grundierten Leinwand. Von einem explosiven Gestus sind nur noch wenige Farbspritzer sichtbar. Den malerischen
Gestus setzt Josef Mikl kraftvoll und bewusst ein. Der farbkräftige Entwurf für das Deckengemälde im Wiener Redoutensaal ist
von einer Rahmen sprengenden Dichte. Die Geste in der Malerei von Julian Schnabel ist zurückgenommen und vorsichtig gesetzt.
Fragmentarisch und zufällig wirken die Spuren, die ein farbgetränkter Lappen auf der Leinwand hinterlässt.
Wolfgang Hollegha verwendet in Anlehnung an das amerikanische "Colourfield Painting" dünnflüssige Farbe. Die Farben fließen
ineinander, die Formen verschwimmen auf der Leinwand, der malerische Prozess wird sichtbar. So bekommt der Gestus eine lyrische
Dimension.
"Es gibt kein Abmalen eines innerlich bereits fertigen Bildes. Jedes aufs Neue die lebendige spannungsvolle Form, wobei sich
Unsicherheit und Verwirrung nicht vermeiden lassen."
(Wolfgang Hollegha, 1980)
Morris Louis schüttet Farbe über die Leinwand, aber nicht wie Jackson Pollock in wildem Gestus, sondern mit einem konzentrierten
und gelenkten Fließen. Das ruhige Arbeiten mit dünnflüssiger Farbe verleiht der Malerei meditative Stille. Der verbleibende
leere Raum eröffnet im Bild unbegrenzte Weite. Sam Francis präsentiert Leere, eine ins "off" gerückte Malerei. Das ausgesparte
Bild scheint an einem anderen Ort zu existieren: Ausgelöschte Information. Die Leerstelle definiert die Suche nach der Malerei,
sie funktioniert hier als Begrenzung der Leere. Die Übermalungen von Arnulf Rainer sind ein Gegenstück. Vorhandenes wird nicht
durch eine Leerstelle ersetzt, sondern durch Übermalen ausgelöscht. Anfang der 60er Jahre gab Sam Francis eines seiner Werke
Arnulf Rainer zum Übermalen.
"Rainer-Wand" in der Galerie 3
Arnulf Rainer prägt die österreichische Kunstszene nach 1945 wesentlich. Die in Anlehnung an die Bildaufhängung in den Depots
ausgestellten Arbeiten belegen das vielschichtige und komplexe frühe Werk Rainers.
"Zentralisationen" leiten Rainers Auseinandersetzung mit dem Informel und dem Abstrakten Expressionismus ein, die Mitte der
50er Jahre von den dunklen Übermalungen, oft in Kombination mit der Kreuzform, abgelöst werden. Diese sind anstelle des extrovertierten
aggressiven Frühwerks durch einen langsamen, verinnerlichten und meditativen Farbauftrag gekennzeichnet. Verdunklung und Auslöschung
steht nicht nur für das Destruktive, sondern auch für das Verinnerlichte, für die Askese. (Florian Steininger, 2001)
"Es ist der Sinn meiner Arbeit, alles das vom Werk zu distanzieren, was nicht unmittelbares Ordnen der funktionalen Mittel
ist; auf jede Subjektivität und Phantasie zu verzichten."
(Arnulf Rainer zu den "Zentralisationen", 1954)
"Das Ungenügen und die Revolte treibt die Malerei. Die wirkliche Malerei kommt erst."
(Arnulf Rainer, 1958)
"Ich sehe bei einem Bild sofort immer nur die schlechten Stellen, zumindest wenn ich für das Objekt Sympathie empfinde. Diese,
die schwachen Stellen, zu vertuschen, eine nach der anderen so lange zu verdecken, bis ich nichts mehr sehe, hat mich zu den
Übermalungen geführt. Also Liebe und Vervollkommnungsdrang. Ich wollte noch schönere Kunstwerke daraus machen... So höre ich
nie auf, meine Bilder zu bearbeiten."
(Arnulf Rainer, 1971)
"Seit dem Hand- und Fingermalexperiment passiert es mir immer wieder, dass ich ab einer gewissen nervlichen Erregungsstufe
den Pinsel fallen lasse, die Hände in die Farbe tauche und mit zwei, drei Fingern forme oder mit der ganzen Hand verschmiere."
(Arnulf Rainer, 1973)
Bei den abstrakten Werken der 80er Jahre legt Gerhard Richter zunächst einen "weichen, illusionistischen Grund an. Dann setzt er - oft an mehreren Leinwänden gleichzeitig arbeitend - unterschiedlich
große, manchmal riesige selbstgebaute Spachteln mit Farbe an, die er über die Leinwand zieht. Die Farbe erscheint durch Wechsel
des Drucks in unterschiedlichen Intensitäten, Mischungen, Strukturen. Geplanter Zufall spielt hier eine wesentliche Rolle."
(Uwe M. Schneede)
Mela Maresch, Andreas Hoffer
FLÄCHE UND REDUKTION
Galerie 4
Pierre Soulages arbeitet seit den 50er Jahren an einer reduzierten Form abstrakter Gestik. Der Pinselstrich wird als horizontaler
oder vertikaler Balken aus einem formal-inhaltlichen Zusammenhang genommen. Die monumentale Zeichenhaftigkeit geht auf die
Beschäftigung Soulages mit romanischer Kirchenarchitektur und ostasiatischer Kalligrafie zurück. Schwarz ist seine bevorzugte
Farbe. Seit den 90er Jahren beschäftigt er sich hauptsächlich mit Licht und Schatten auf reinschwarzen Bildflächen.
Günter Förg setzt sich in seinem malerischen und fotografischen Werk mit Fläche, Struktur, Proportion und Materialität auseinander.
Sein formaler Purismus ist von der architektonischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst. Die streng vertikalen
Rechtecke der Arbeit "Farbfeld" werden malerisch unterschiedlich behandelt. Der Blick des Betrachters wird so auf die feinen
Unterschiede der Malgründe und Bildflächen gelenkt.
Minimalismus und formale Strenge bestimmen auch frühe Arbeiten von Frank Stella. Bei Stella sprengen die monochromen geometrischen
Formen das Rechteck des Bildes. Sie geben dem collagierten Bildkörper Dynamik. Seit den 80er Jahren transformieren sich die
dynamischen Farbflächen auch zu dreidimensionalen Raum-Objekten.
Peter Halley fügt grellbunte und mit industriellen Dekor-Farben gemalte Kompositionen zu geschlossenen Systemen. Formal dazu
angeregt wurde Halley durch die "Ästhetik" von Gefängniszellen und organischen Kreislaufsystemen.
"Was mir daran gefällt, mit einer geschlossenen, begrenzten Anzahl von Elementen zu arbeiten, ist die Tatsache, dass ich,
ohne das System zu verändern, über die Jahre hinweg sehen kann, wie ich dieses System eingesetzt habe um unterschiedliche
Dinge auszudrücken, weil ich mich selbst verändert habe."
(Peter Halley)
Lucio Fontana zerschneidet im "Concetto spaziale" die monochrome Fläche des Bildes "in Realita". Der Einschnitt ist eine Zerstörung
der Malerei. Die monochrom betonte Zweidimensionalität der traditionell dem Scheinraum dienenden Malerei wird zum real räumlichen
Objekt. Der Raum hinter dem Bild wird sichtbar. Die Form ist nicht gemalt, sie entsteht durch einen bewussten Akt der Verletzung,
der mit hoher ästhetischer Qualität gesetzt wird. Eine ähnliche Position vertrat der Kärntner Hans Bischoffshausen, ein Freund
Fontanas und ebenso wie dieser Mitglied der Gruppe ZERO AVANTGARDE.
Bischoffshausen entwickelte seine sogenannten "Struktur Reliefs" in den 60er Jahren in Paris. Monochrome Flächen werden derart
bearbeitet, dass reliefartige, manchmal auch eingeschnittene Formen entstehen, die Strukturen bilden. Die Arbeiten von Bischoffshausen
sind von minimalistischer Strenge. Als eine Auflösung der Trennung von Bild und Raum lässt sich die plastische Erweiterung
der Bildflächen beobachten. Dieser künstlerische Ansatz fand in Österreich keine Entsprechung und wurde kaum geschätzt.
Andreas Hoffer
VON DER AKTION ZUM AKTIONISMUS
Galerie 5
Auf den subjektiven Entäußerungen eigener Befindlichkeiten in der abstrakten, informellen Malerei und den Aktionen des Tachismus
baute Anfang der 60er Jahre der "Wiener Aktionismus" auf, die österreichische Variante von "Happening" und "Fluxus". Auch
Günter Brus und Alfons Schilling kommen von der gestischen Malerei. Bei Schilling führt das zu raumgreifender Malerei: Die
Übertragung der Körperbewegung auf die Bildfläche wird, wie in dem Rotationsbild, sichtbar.
1961 präsentierte die Galerie "Junge Generation" wilde Müll-Skulpturen von Otto Mühl und Adolf Frohner. Kurz darauf verfassten
Mühl, Frohner und Hermann Nitsch die "Blutorgel", das erste Manifest des "Wiener Aktionismus", in dem die Gleichsetzung von
Kunst und Leben gefordert wird. Schockierende, tabubrechende Aktionen von Brus, Mühl, Nitsch und Rudolf Schwarzkogler bestimmten,
wenn man von der Marktpräsenz der "Phantastischen Realisten" absieht, die österreichische Kunstszene der 60er Jahre. Durch
den Aktionismus erreichte die Kunst in Österreich erstmals eine politische Dimension, wie man sie bis dato noch nicht gekannt
hatte. Die Aktionisten stellten, neben den traditionellen Kunstbegriffen, auch den österreichischen Staat mit seinen Obrigkeiten
und seiner katholischen Prägung in Frage. Das Finden neuer künstlerischer Ausdrucksformen und das Überschreiten gewohnter
Grenzen war ihnen aber ein ebenso wichtiges Anliegen.
Daneben waren die Aktionisten aber auch in der österreichischen Tradition verhaftet. Der barocke Überschwang und die Expressivität
ihrer Aktionen folgten der Kulturgeschichte des Landes ebenso, wie sich ihr Hang zur Selbstanalyse und Selbstzerstörung auf
die Psychoanalyse Sigmund Freuds bezog. In Aktionen wie "Wehrertüchtigung" von Mühl und "Zerreißprobe" von Brus oder in der
folgenschwersten Aktion "Kunst und Revolution" bemalten, beschütteten und verletzten die Aktionisten ihre Körper oder befreiten
ihn vor Publikum von allen Körpersäften.
Nach der als "Uni-Ferkelei" berühmt gewordenen Veranstaltung wurden Brus und Mühl strafrechtlich verfolgt, worauf Brus Österreich
verließ. Etwa zur selben Zeit zog Nitsch nach München. Der "Wiener Aktionismus" hatte damit als Gruppenphänomen sein Ende
gefunden.
Gabriele Bösch
SPUREN SUCHEN / ZEICHEN SETZEN
Galerie 6
Die Kunst der Aboriginal-People erzählt die vor ca. 60.000 Jahren beginnende Geschichte ihrer Herkunft und der Zugehörigkeit
zu den Tieren, Pflanzen, Wasserstellen und Nahrungsquellen ihres Landes. Sie erzählt aber auch von einer Kultur, die von den
Weißen zerstört wurde und wird. Seit den frühen 70er Jahren werden die Spuren und Zeichen, die "Dreamings" der Aboriginal-People,
auch auf Leinwände gemalt, dem traditionellen Material der Weißen. Diese "reisenden Bilder" sind dazu bestimmt, das Land der
Aboriginal-People zu verlassen, um ihre Geschichten dort zu erzählen, wo die Reisen der Bilder enden.
Rover Thomas beschreibt in seinem Bild das Wesen des sogenannten Wingiginy Landes, wo einst das große, rote Känguru graste,
in der schwarzen und roten Erde, auf sandigem Grund und steinigen Niederungen. Emily Kame Kngwarreye ist eine Künstlerin der
Utopia-Gemeinschaft und Gesetzeshüterin des Wissens über Frauenzeremonien. Sie malt eines ihrer Dreamings: Kame, die Samen
und Blüten der Süßkartoffel "Yam". Sie erforscht die verwurzelten Bahnen unterirdischer Knollengewächse, wie die Muster und
Farben der Blätter, der Samen und der Blüten. Kngwarreye grundierte ihre Leinwand oft mit schwarzer Farbe. Das erinnert an
die Herkunft vieler ihrer Muster, die vergleichbar bei der traditionellen Körperbemalung benutzt werden: Roter und weißer
Ocker auf schwarzer Haut. Turkey Tolson Tjupurrula symbolisiert Speere durch parallele Bänder.
Speere wurden von den Männern leicht über Feuer erwärmt und solange sie noch warm waren, begradigt. Billy Yirawala zeigt Momente
der Maraian-Zeremonie. Eine Zikade kommt gerade aus der Erde hervor um ein Lied vom Leben und vom Leben nach dem Tod zu singen.
Von Natur, Naturbegegnung, Reisen, Symbolen und Zeichen als Kürzel sind auch die Werke der Künstler des "Westens" in diesem
Raum geprägt. Der 2001 verstorbene Tiroler Max Weiler vergleicht seine "Landschaftsanalogien" mit dem Empfinden von Landschaft
und Natur schlechthin.
"Bei mir selbst ist es Neuschöpfung der Natur, ein neues Hervorbringen von Bergartigem, Grasartigem, Wolkenartigem, Erdartigem,
Blumenartigem, Luftartigem, Baumartigem."
(Max Weiler)
Der Spanier Antoni Tàpies gibt den natürlichen Elementen ihre Bedeutung durch die Art wie sie vom Künstler verwendet werden.
Tàpies Werke spiegeln mit ihrer Hinwendung zur Materie, zu Erdtönen und -flächen mehr reale Präsenz wider, als traditionell
realistische Bilder. Die strengen, genau gesetzten Ordnungen der Bilder, die Reduktion und Verdichtung, sind weit weg von
Zufall und Willkür. Die Abstraktionen entsprechen langen Reisen durch Erfahrung, Erleben und Geist. Auch Zeichen, wie das
häufig aufscheinende Kreuz, sind Hinweis und Rätsel, Geheimnis und magischer Code zugleich.
"Ich könnte kein Bild gestalten, ohne dass darin eine Idee, eine Suggestion wäre, die sich auf das Leben bezieht und uns helfen
könnte, die Wirklichkeit zu erkennen und zu formen."
(Antoni Tàpies)
Der aus Kärnten stammende Johanes Zechner ist ein Reisender. Unterwegs mit dem Koffer, der das Maß für die Bilder vorgibt,
geht er auf Spurensuche, sammelt Ein- und Ausdrücke. Materialien aus allen Gebieten des Lebens und der Welt, Gegenstände jenseits
traditioneller Bestimmungen sind Rohmaterial für Zechners Kunst. Seine Bildserien funktionieren wie Sätze, bei denen jedes
Bildteil für ein Wort bzw. für eine Erinnerung steht, die mittels Farbe und Zeichensprache geweckt wird.
Mela Maresch
PETER KOGLER - RAUMINSTALLATION
Galerie 7
In seiner formalistischen Philosophie vom amerikanischen Minimalismus der sechziger und siebziger Jahre stark beeinflusst,
ist die Wiederholung bestimmter Motive eng verknüpft mit der menschlichen Anatomie, dem Gehirn, Gesicht, Skelett oder Röntgenbild.
All dies führt uns in gewisser Weise zur lokalen Geschichte zurück, insbesondere zum Wiener Aktionismus, der Kogler dazu geführt
hat, sich mit einer außergewöhnlichen Reife in diesem Zwischenbereich des je t’aime moi non plus zu positionieren. Aber für
Kogler hat die Wahrung von Distanz Vorrang, was ihn zu einer der freiesten und autonomsten Persönlichkeiten der österreichischen
Szene macht.
In allen seinen Arbeiten schafft Kogler immer wieder Neues und er beschäftigt sich im Wesentlichen mit dem Problem des Motivs
im Raum. Die Form in ihrer Wiederholung und ihrer Entfaltung am Ort, so wie die Leichtigkeit im Umgang mit den Materialien
und deren explizite Modernität kennzeichnen die Vorgangsweise dieses österreichischen Künstlers. (Ami Barak, Bregenz 2000)
Wie sich Pop-Art aus dem Fundus der Warenästhetik bedient, bedient sich Peter Kogler aus jenem der Medienästhetik, nutzt er
die Verfügbarkeit vorfabrizierter Muster, Zeichen und Symbole. Wie die Amerikaner zeiht er aus Duchamps Readymade keinen formalen,
sondern einen produktionstechnischen Schluss, nimmt sozusagen dessen Angebot auf Befreiung der Kunst von der Arbeit an und
bezieht ihr Kunstmaterial gebrauchsfertig und anwendungsfreundlich von der Industrie. Insofern könnte man diese Vorgangsweise
auch als Nobilitierung des Banalen bezeichnen, die wie Pop auf jeden ästhetischen Erziehungsanspruch verzichtet, einfach als
eine kreative Bestätigung dessen, was unter den Bedingungen der neuen Technologien möglich ist.
Edelbert Köb (Bregenz 2000)
BILDER – GESCHICHTE
Großer Saal
Jörg Immendorff beherrscht mit "Was uns Malerei bedeuten kann" die Stirnseite des Saales. Die Erzählung scheint durch den
Realismus offensichtlich, die Symbole bleiben aber rätselhaft. Immendorff hat die Geschichte der Malerei und die Position
des Künstlers in der Gesellschaft zu seinem Thema gemacht. Er selbst tritt mehrmals im Bild auf. Seine Bildgeschichten werden
wie auf einer Bühne ausgebreitet; er verwendet Symbole aus dem Fundus der Geschichte.
"Ich will wie ein Filmregisseur verschiedene Elemente spielen lassen."
(Jörg Immendorff)
Die Christusdarstellungen von Hubert Schmalix sind von formaler Strenge geprägt. Die Figur in Seitenansicht wird abstrahiert
und in die Bildfläche gebunden. Stellenweise bricht die Malerei den strengen Aufbau durch einen bewegten Pinselduktus auf.
In den Bildern von Schmalix wird Geschichte nicht erzählt, die Thematik ist inhaltlich aber aufgeladen.
"Der Gedanke an Christus kam durch einen Auftrag einer Kirchengemeinde in Vorarlberg, den ich angenommen habe, ohne wirklich
große Ahnung von Christus zu haben... Es ist nicht so sehr das Religiöse, das mich daran gereizt hat, sondern eher die christliche
Philosophie..."
(Hubert Schmalix)
Durch die beidseitige Bemalung eines Transparentbildes von Sigmar Polke entsteht eine Überlagerung der Motive, die zu einer
Verschmelzung und Auflösung der Darstellungen führt. Eine seltsam surreale Illusion wird geschaffen. Polkes Werk ist vom experimentellen
Umgang mit Malerei bestimmt, als Sujets verwendet er auch Alltägliches, ohne jede Wertung. Er entzieht sich jeder stilistischen
Kategorisierung:
"Stil ist Gewalt... und wir sind nicht gewalttätig..."
(Sigmar Polke)
Die Bilderberge der Kunstgeschichte hat Martin Kippenberger manchmal als Schrotthaufen, manchmal als Steinbruch aufgefasst.
Er bediente sich ohne besonderen Respekt aber mit großem Interesse der Kunst-Geschichte. Bei Aneignungen, wie z.B. "Krieg
böse", das sich an das "Floß der Medusa" von Theodore Géricault anlehnt, können die Vorlagen verhöhnt oder selbst zu dramatischen
Auftritten werden.
"Einen eigenen Stil finden, daran hat es bei mir gehapert, bis mir auffiel, dass stillos zu sein, auch ein Stil ist, und den
habe ich dann verfolgt... Abklatsch verhilft einem zur Größe, wenn man die Regeln des Vergessens kennt."
(Martin Kippenberger)
Bildsprachliche Dichtung und bewusste Stilkollisionen kennzeichnen die Arbeiten von David Salle. Figuratives und Abstraktion
werden innerhalb eines Bildraumes verbunden, Spannung wird erzeugt. Überraschungen ergeben sich durch das "Einbauen" von Bildern
oder Skulpturen in die Bildfläche. Salle verbindet Elemente aus verschiedenen Zeiten und Kulturen. Er verarbeitet aber auch
Triviales wie das "Malen nach Zahlen". Der Bilderzählung kommt bei dem zeitgleichen Nebeneinander unterschiedlicher Inhalte
keine eindeutige Bedeutung zu.
Donald Baechler kombiniert Stile und Materialien in seinen Bildern. Ornament ist hier ebenso zu finden wie an Kindermalerei
orientierte Motive, geometrische Farbflächen oder Zeitungsausschnitte und Logos aus der Alltagskultur. Auch Ford Beckman bearbeitet
ein Bild der amerikanischen Alltagskultur, einen Stummfilmstar als Clown. Technik und Bildträger, Siebdruck auf Segeltuch,
unterstreichen die Auseinandersetzung mit populärer Kultur.
Eine "feste Masse der aneinandergereihten Erinnerungen" (Paladino) bestimmen Arbeiten des italienischen Künstlers Mimmo Paladino.
Die komplexen Bildgeschichten bieten eine Fülle von Deutungen an.
Symbole und Zeichen verweisen auf eine mystische Welt, in der Lebende und Tote nebeneinander existieren. Archaische Rituale,
archäologische Funde und Zitate aus der Kunstgeschichte werden verarbeitet. Die flächige Aneinanderreihung von Motiven führt
zum Beispiel in die frühchristliche und mittelalterliche Malerei zurück.
"Spanier" und "Spanierin" von Franz Ringel, zwei Köpfe in expressivem Pinselduktus gemalt, zeigen Gesichter voll von malerischen
Aufregungen. Das Malen steht bei den Köpfen, die Anfang der 80er Jahre entstehen, vor der Erzählung. Nicht konzeptuelle Eindeutigkeit,
sondern die malerische Annäherung an die Welt kennzeichnen Ringels Werke.
"Für mich ist es so, Malen bedeutet eigentlich Leben."
(Franz Ringel)
Elke Zingler, Andreas Hoffer
Die KünstlerInnen
Siegfried Anzinger, Georg Baselitz, Hans Bischoffshausen, Erwin Bohatsch, Herbert Brandl, Günter Brus, Lucio Fontana, Günther
Förg, Sam Francis, Adolf Frohner, Peter Halley, Wolfgang Hollegha, Jörg Immendorff, Emily Kame Kngwarrey, Martin Kippenberger,
Per Kirkeby, Peter Kogler, Maria Lassnig, Morris Louis, Markus Lüpertz, Josef Mikl, Otto Mühl, Hermann Nitsch, Mimmo Paladino,
Sigmar Polke, Markus Prachensky, Marc Quinn, Arnulf Rainer, Franz Ringel, David Salle, Hubert Scheibl, Alfons Schilling, Hubert
Schmalix, Julian Schnabel, Pierre Soulages, Rudolf Schwarzkogler, Frank Stella, Antoni Tàpies, Rover Thomas, Rosemarie Trockel,
Max Weiler, Johanes Zechner