HAPPY NEW EARS AND EYES

Ein vielschichtiges Happening mit Werken von John Cage

HAPPY NEW EARS AND EYES

Ein vielschichtiges Happening mit Werken von John Cage
Mi, 27.10.2010, 19:30 Uhr

Essl Museum

Studierende des Konservatorium Wien haben sich über mehrere Monate im Projekt Silence intensiv mit dem Komponisten und Künstler John Cage auseinandergesetzt und gestalten nun gemeinsam mit dem Publikum dieses Happening.
Studierende und AbsolventInnen der Konservatorium Wien Privatuniversität
Konzept: Lars Mlekusch, Virginie Roy-Nigl und Studierende

 

Video-Trailer des Cage Happenings von Lars Mlekusch
 

Am heutigen Abend wird das Essl Museum zu einem Ort der Stille. John Cage’s Konzept der Stille (silence) sensibilisiert für eine Offenheit, in der Ohr und Auge Neues entdecken oder bereits Gewohntes anders erfahren können. Studierende verschiedenster Abteilungen der Konservatorium Wien Privatuniversität haben sich über mehrere Monate im Projekt Silence intensiv mit dem Komponisten und Künstler John Cage auseinandergesetzt und gestalten nun gemeinsam mit dem Publikum dieses Happening. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Disziplinen wie auch zwischen dem Publikum und den Ausführenden werden dabei angetastet und zuweilen auch aufgebrochen.

Die Aktionen finden in verschiedenen Räumen des Essl Museums statt, wobei das Publikum zu einem Teil der Inszenierung wird. Selbstverständlich wird dabei auch dem Zufall Raum geboten, so dass der Ausgang dieses spannenden Experiments noch gänzlich offen ist.

Tanz und Musik wurden bis zum Moment des Zusammentreffens in der Aufführungssituation im Essl Museum voneinander unabhängig entwickelt. Die Bewegungssprache der TänzerInnen ist durch die Anwendung des Zufallsprinzips, der poetischen Nutzung des Raums sowie der Autonomie der TänzerInnen entstanden.

Ausgangspunkt ist Merce Cunninghams Konzept der Eigenständigkeit von Tanz, Musik und Bühnenbild, demgemäß Tanzstücke entstehen sollten, die das Bestreben nach Unabhängigkeit dieser Kunstformen aufzeigen. Weiters beschränkte sich Cunningham bei seinen Aufführungen nicht auf traditionelle Bühnen, sondern nutzte, wie auch die Judson Group öffentliche Plätze und Museen. Für ihn war jeder Punkt im Raum von gleichwertiger Bedeutung, markiert mit oder ohne tänzerische Aktivitäten. Es gab keinen definierten Zuschauer–Tänzer-Situation und somit konnte das Publikum die Choreographie von allen Seiten gleichermaßen betrachten.

Der ständige Wechsel von Polaritäten im Raum, die Musik von John Cage sowie die ausge- stellten Kunstwerke und die Architektur des Essl Museums lassen eine glückliche Anarchie entstehen.

Lassen Sie sich überraschen, wir tun es auch!

Lars Mlekusch & Virginie Roy-Nigl und alle Mitwirkenden

Eine Kooperation des Essl Museums mit der Konservatorium Wien Privatuniversität


ZUR CHOREOGRAPHIE DES ABENDS

Sie, liebes Publikum, werden heute, ob Sie nun wollen oder nicht, Teil des Happenings. Aber keine Angst, Sie werden das bravourös meistern! Es genügt, wenn sie sich mit einer kindlichen Neugier durch die Räume des Museums bewegen und dabei den verschiedenen Aktionen aufmerksam zuschauen und lauschen. Sie finden im Programmheft zwei unterschiedliche Wege vor, „Kopf“ und „Zahl“. Beide führen Sie zu allen Aktionen. Es ist für Sie nun vielleicht ein bisschen wie es für Cage beim Komponieren war: Eigentlich gäbe es unzählige Möglichkeiten für einen Weg durch den heutigen Abend. Dabei würden Sie sich vielleicht durch ihre Vorlieben beispielsweise für Tanz, für bestimmte Epochen aus Cage´s Schaffen etc. leiten lassen. Cage versuchte sich beim Komponieren oder Malen schon bald von seinen Absichten (den eigenen Vorlieben oder Abneigungen) zu befreien und überliess dabei viele Entscheidungen gewissen Zufallsoperationen, beispielsweise durch die Anwendung des chinesischen Buch der Wandlungen „I CHING“ als Orakel oder auch einfach durch das Werfen einer Münze.

„I use chance operations instead of operating according to my likes and dislikes. I use my work to change myself and I accept what the chance operations say. The I Ching says that if you don't accept the chance operations you have no right to use them. Which is very clear, so that's what I do.“

Vielleicht können Sie das ja nun selbst ausprobieren: Werfen Sie eine Münze und folgen Sie dann ihrem dabei zufällig ermittelten Weg „Kopf“ oder „Zahl“.

Beim Eingang finden sie eine Uhr vor, nach der die Aufführungszeiten gerichtet sind. Vergleichen Sie doch kurz ihre eigene Uhrzeit mit jener. Sie können selbstverständlich auch jederzeit in der Cafeteria im Obergeschoss eine kleine Pause einlegen und dabei ein Schwammerlragout essen (Cage war ein begeisterter Pilzesammler!) oder auch nur etwas trinken.


ZUM PROGRAMM

Die aufgeführten Werke stammen mit Ausnahme der Choreographien alle von John Cage und zeigen einen Querschnitt durch 53 Jahre seines Schaffens: Angefangen bei den Frühwerken Music for Wind Instruments und Living Room Music bis hin zu zwei Werken seiner späten Reihe der sog. „Number Pieces“.

1 - Solo for Voice No. 82 aus den Song Books

Directions: Using a Paris cafe cognac glass, serve yourself die amount above the line. Drink, using throat microphone to make swalloing very audible.

2 - Four5 (1991)

Das Werk gehört ebenso wie Five4 zur Reihe der sogenannten Number Pieces. Die Spieler haben wiederum einzelne Stimmen, jede mit unterschiedlichen „time brackets“ und darin enthaltenen Noten versehen. Die Reduktion im Material geht hier aber noch weiter als in Five4: es gibt nur mehr einen Klang pro Zeitklammer. Die Musiker spielen entweder ganz leise Töne beliebiger Dauer innerhalb der angegebenen Zeiten, oder laute Töne (die dann aber kurz sein müssen). Die Spieler werden von Cage explizit gebeten, die Intonation einander nicht anzugleichen, d.h. es entstehen zufällige mikrotonale Schwebungen, ein „unison of differences“. In der heutigen Aufführung sind die Saxophonisten im gesamten grossen Saal positioniert, während die Tänzerinnen den Raum dazwischen erschliessen. Für Tanz und Musik ist einzig die Aufführungsdauer von 12 Minuten verbindlich. John Cage und Merce Cunningham haben in ihrer gemeinsamen Arbeit durch die Zulassung des Zufalls innerhalb einer gegebenen Zeit die Unabhängigkeit von Tanz und Musik erprobt.

Saxophon: Janez Ursej, Simon Sirec, Kristina Serazin, Rachael Moorhead, Florian Laczkovits, Timur Sijaric, Linus Amstad, Alan Luzar. Tanz: Laura Amtmann, Kyra Chlebowski, Selenia Delfino, Cäcilia Färber, Magdalena Frank, Celia Maria Hickey, Magdalena Jankowska, Kim Rojc, Sylvia Salzmann, Yating Yue, Waltraud Brauner

 

John Cage: Four5
Probe am 25.10.2010 im Großen Saal des Essl Museums

3 - Music for Wind Instruments (1938)

I. Trio (Flöte, Klarinette, Fagott)
II. Duo (Oboe, Horn)
III. Quintet (Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott)

Dieses Werk hat John Cage in einer freien seriellen Technik komponiert, ein paar Jahre nachdem er bei Arnold Schönberg in Kalifornien im Unterricht war. In einem späteren Interview sagte Schönberg über Cage: „Of course he's not a composer, but he's an inventor — of genius“. Im heutigen Konzert wird die Oboe durch ein Sopransaxophon ersetzt.

Flöte: Ksenija Basic, Klarinette: Anna Eppel, Sopransaxophon: Linus Amstad, Horn: Dimitri Egorov, Fagott: Carlos Jorge De Abreu Santos

4 - Hymnkus (1986)

Das Werk Hymnkus hat Cage für Matthew Kocmieroski und die New Performance Group geschrieben. Es besteht aus 14 Stimmen, die beliebig kombinierbar sind, vom Solo bis hin zur kompletten Besetzung ist alles möglich. Partitur gibt es keine, die Musiker spielen mit einer Stoppuhr. Der Titel ist eine Kombination aus den Wörtern Hymn und (Hai-)kus. Hymn lässt sich so erklären, dass die Stimmen aus wiederholten Versen bestehen. Ein Haiku ist eine japanische Gedichtform, bestehend aus 17 Lauteinheiten (Silben). Cage verwendet entsprechend in jedem Verse 17 Events. Die einzelnen Verse werden fünf bis sechs Mal in drei unterschiedlichen Tempi repetiert: 30 Sekunden (fast), 45 Sekunden (moderate), 60 Sekunden (slow) pro Vers. Das Tonmaterial aller Spieler bewegt sich innerhalb einer Quinte.

Flöte: Ksenija Basic, Altsaxophon: Linus Amstad, Fagott: Carlos Jorge De Abreu Santos, Posaune: Tomomi Matsuo, Akkordeon: Rada Petrovic, Nikola Djoric, Violoncello: Sofija Zivkovic, Violine: Ariav Buchris, Perkussion: Sabine Pyrker

5 - Variations III (1962)

Die Partitur zu Variations III besteht aus 42 kleinen Kreisen, gezeichnet auf einer transparenten Folie. Diese sind einzeln auszuschneiden und dann zufällig auf den Boden fallen zu lassen. Aus diesem Konglomerat wird dann eine kleine Gruppe von sich überschneidenden Kreisen ausgewählt und daraus eine Partitur erstellt. Wie das genau zu geschehen hat, überlässt er den Ausführenden. Er gibt auch keine Anweisungen darüber, wie und ob Klänge produziert werden sollen, die gesamte Partitur erwähnt nicht einmal das Wort Ton oder Klang.

Ausführende: Magdalena Jankowska, Kyra Chlebowski, Waltraud Brauner, Sylvia Salzmann, Anna Knapp, Michael Krenn, Julian Gamisch.

6 - A Dip in the Lake (1978)
Ten Quicksteps, sixty-one Waltzes and fity-six Marches for Vienna

Das Konzept: An 427 zufällig ermittelten Plätzen in Chicago (oder jeder andern Stadt der Welt) sollen Tonaufnahmen gemacht werden und diese dann in 10 Zweiergruppen (Quick Steps), 62 Dreiergruppen (Waltzes) und 56 Vierergruppen (Marches) abgespielt werden.

Unsere Umsetzung: Wir haben zufällig einige Kaffeebohnen-Samples aus der Filiale einer bekannten amerikanischen Kaffeehauskette auf einen Wiener Stadtplan fallen lassen um so die 427 Orte zu ermitteln. Die dort gemachten Aufnahmen wurden dann zufällig zu den erwähnten Gruppen kombiniert. Vorgetragen wird das Stück mit Stoppuhren und dauert in der heutigen Version 21 Minuten.

Geräusche aus dem Alltag werden eingefangen und in den Rahmen eines Konzertes geholt. Ein musikalisches ready-made also, sogenannte „musique concrète“.

Ausführende: Kyra Chlebowski, Julian Gamisch, Magdalena Jankowska, Michael Krenn, Rachael Moorhead, Sylvia Salzmann, Anna Schumacher, Kristina Serazin, Timur Sijaric, Janez Ursej

 

John Cage: A Dip in the Lake
Probe am 25.10.2010 in der Rotunde des Essl Museums
 
7 - Five4 (1991)

Dieses Werk ist dem Komponisten Stefan Wolpe gewidmet. Die Extreme von Tondauern und Dynamik, die Cage im Vorwort zum Notentext – fünf nur durch „time brackets“ koordinierte Einzelstimmen mit minimalen Tonvorräten für die Dauer der entsprechenden Segmente – den Interpreten anempfiehlt, machen, ebenso wie die Extremlagen mancher Saxophontöne, den Hommage-Charakter auch klanglich deutlich, waren doch Härte, Angularität und Heterogenität Klangchiffren von Stefan Wolpes Musik (Peter Niklas Wilson)

Mit: Kyra Chlebowski, Julian Gamisch, Magdalena Jankowska, Michael Krenn, Rachael Moorhead, Sylvia Salzmann, Anna Schumacher, Kristina Serazin, Timur Sijaric, Janez Ursej

 

John Cage: Five4
Probe am 25.10.2010 in der Ausstellungshalle des Essl Museums

8/11 - Solo for Voice No. 27 (Cheap Imitation No. 5) und Solo for Voice No. 49 (The Year begins to be Ripe) aus den Song Books (1970)

Die Texte zu beiden Nummern aus den Song Books stammen aus Henry David Thoreaus „Journal“. Die Musik der Nr. 27 basiert auf Eric Saties Kyrie aus der Messe des Pauvres. „Cheap Imitation“ deshalb, weil Cage zwar die rhythmische Struktur des Originals beibehält, die Tonhöhen aber beliebig neu verteilt. Die Melodie zu Nr. 49 stammt von Cages frühem Werk The wonderful widow of eighteen springs (1942).

Stimme: Soetkin Elbers

 

 

John Cage: Tanz-Trio / Song Books #49
Probe am 25.10.2010 in der Ausstellungshalle des Essl Museums

9 - Solo for Voice No. 23 aus den Song Books

Directions: On a playing area (e.g. table, chessboard) equipped with contact microphones (four channces preferably, speakers around the audience highest volume without feedback). Play a game with another person (e.g. chess, dominoes) or others (e.g. scrabble, bridge).

Auch hier sind wieder Sie an der Reihe. Spielen sie eine Partie Schach, oder wenigstens einen Zug, mit einem Freund oder einer zufälligen Person aus dem Publikum. John Cage hat dieses Stück geschrieben, nachdem er schon einige Partien mit seinem Freund Marcel Duchamp gespielt hatte. Duchamp war ein Mitbegründer der Konzeptkunst, Anhänger des Dadisten und stellte den gängigen Kunstbegriff in Frage, so wie Cage den Musikbegriff neu zu definieren versuchte! ready-mades oder objets-trouvé (franz. für ‚gefundener Gegenstand“), also fertige Gegenstände aus dem Alltag, wurden zu Kunstwerken erhoben. Bekannte Beispiele sind dafür sind „Fontain“ (ein Pissoirbecken) oder sein erstes ready-made, das Roue de Byciclette (Fahrrad-Rad). Dieses Stück bezieht sich, wie auch Solo for Voice No. 15 und No. 82, auf die Idee der ready-mades in der bildenden Kunst. Alltägliche Handlungen werden zu einem Musik oder Musiktheaterstück.

Ausführende: Publikum

10 - Solo for Voice No. 15 (Theatre using electronics) aus den Song Books

Directions: Using a typewriter equipped with contact microphones (four channels preferably, speakers around the audience, highest volume withozt feedback), typewrite the following statement by Erik Satie thirty-eight times: "L´artiste n´a pas le droit de disposer inutilement du temps de son auditeur" (zu deutsch: der Künstler hat nicht das Recht, unnötig über die Zeit seines Zuhörers zu verfügen)

Hier, sehr verehrtes Publikum, ist ihre Mitarbeit gefragt: Tippen Sie den obigen französischen Satz auf der Schreibmaschine und Sie werden für einen Moment zum Akteur einer Performance von John Cage! Die Schreibmaschine ist mit Kontaktmikrophonen bestückt wodurch jeder Anschlag zu einem deutlich wahrnehmbaren akustischen Ereignis wird. Der Satz soll 38 Mal vollständig getippt sein!

Ausführende: Publikum

12 - Tanz-Duo (2010)

Tanz: Frederic Troehler, Yiyi Wang

13 Tanz-Trio (2010)

Tanz: Carolina Sophia Bischof, Tran Thanh Thien Trang

14 - Living Room Music (1940)
for percussion and speech quartet with or without an instrumental solo with percussion trio

Der erste und vierte Satz sind auf Haushaltgegenständen zu spielen. Der optionale zweite Satz verlangt nach einem Instrumentalsolo (heute gespielt von Lea Priemetzhofer auf der Blockflöte) mit Perkussionstrio. Der dritte Satz ist ein Sprechquartett über ein Gedicht von Gertrude Stein (The world was round). Die Stimme wird dabei zu einer Art Perkussionsinstrument.

Perkussion: Lea Priemetzhofer, Sabine Pyrker, Aleksandra Suklar, János Figula

 

 

John Cage: Living Room Music
Probe am 25.10.2010 im Kleinen Saal des Essl Museums

15 - Aus: String Quartet in Four Parts (1950/2010)
I. Quietly Flowing Along – Summer Sie sehen eine Choreographie zum nicht gespielten 1. Satz aus dem String Quartet in Four Parts.

Tanz: Kim Rojc, Anna Schumacher, Yating Yue, Magdalena Frank

16 - Dream (1948)

Das Stück Dream hat Cage ursprünglich zu einer Choreographie von Merce Cunningham geschrieben. Er folgte dabei der rhythmischen Struktur des Tanzes. Die Tonmaterial besteht mit Ausnahme der letzten Takte hauptsächlich aus einer einzelnen Melodielinie. Cage hat das Werk auch für Streichquartett sowie für Orgel bearbeitet. Heute hören sie eine Fassung für Akkordeon solo, die den Abschluss des heutigen Abends bildet.

Akkordeon: Rada Petrovic
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