LONTANANZA

Auf der Suche nach dem fernen Klang

LONTANANZA

Auf der Suche nach dem fernen Klang
Mi, 18.04.2007, 19:30 Uhr

Essl Museum

In Nonos vorletzter Komposition kommt die für das Spätwerk dieses Komponisten charakteristische Suche nach dem Klang zum Ausdruck. Der Titel steht für das ziellose Umherstreifen des Menschen, verköpert durch die Geigerin, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
Annelie Gahl: Violine
Karlheinz Essl: Klangregie

Luigi Nono: La lontananza nostalgica utopica futura (1988/89)
für Violine und 8-Kanal Surround Sound


Caminantes, no hay caminos, hay que caminar“ – Diese alte Inschrift an einer Klosterwand im spanischen Toledo wurde in den 1980ern zum kompositorischen und zugleich existenziellen Leitmotiv des venezianischen Komponisten Luigi Nono: „Wanderer, es gibt keine Wege, es gibt nur das Gehen“ – auch unmittelbar, im wörtlichen Sinne. In La lontananza nostalgica utopica futura, Nonos vorletztem vollendeten Werk mit dem Untertitel "Madrigale für mehrere ,Wanderer‘ mit Gidon Kremer", durchschreitet der Geigensolist den Bühnen- und Zuschauerraum, in dem die einzelnen Abschnitte der Partitur auf sechs der acht bis zehn Pulte verteilt sind. Die theatralische Aktion enthält somit ein unbestimmtes Moment, ein zielloses Umherschweifen. Und auch die Musik selbst verkörpert die Suche, den Aufbruch über bekannte Grenzen hinaus.

1988 hat Nono in Freiburg das Geigenspiel von Gidon Kremer aufgenommen ... ein reicher Fundus an improvisierten Klangmaterialien, charakteristischen Spielweisen, „Klangausrissen“ aus Werken von Bach, Beethoven, Schumann und Brahms, Sprachfetzen und Geräuschen. Daraus entstanden acht Tonspuren, die vom Klangregisseur live gemischt und in den Raum projiziert werden. Die Solostimme integriert bestehende Musik – Nonos frühe Varianti für Violine und Ensemble (1957) und Giuseppe Verdis "Scala enigmatica" aus den Quattro pezzi sacri – in ausdifferenzierte Spieltechniken und einen flexiblen Klangraum aus Mikrointervallen.

Aus dem intuitiven Miteinander der beiden Partien entsteht ein lebendiger Organismus: Solist und Klangregisseur reagieren aufeinander, die Klangbahnen kreuzen einander wie die Stimmen alter Madrigale ...

Für Salvatore Sciarrino, den „exemplarischen Wanderer“, erfolgreichen Komponisten und Schüler Nonos, dem das Werk gewidmet ist, verkörpert La lontananza nostalgica utopica futura eine einzigartige ästhetische Metapher: Indem die Vergangenheit durch die Gegenwart reflektiert wird (nostalgica), bringt sie eine kreative Utopie hervor (utopica); die Sehnsucht nach dem Bekannten wird zum Vehikel für das Mögliche (futura) durch das Medium der Entfernung (lontananza).

Nonos Klangraum, der im Großen Saal des Essl Museums von der Geigerin Annelie Gahl und dem Elektroniker Karlheinz Essl aufgefächert wird, wird zum Zeichen des Wanderns zwischen den Zeiten, für Nonos beharrliche Suche nach dem Klang, dem Synonym für Schönheit, Wahrheit und Leben.


Biographien

Annelie Gahl (* 1965 in Salzburg)

Mit ihrer ersten Solo-CD "innaron" hat Annelie Gahl umgehend den ihr auch als Solistin gebührenden Erfolg gelandet. Die Wiener Geigerin kann dabei schon auf eine bewegte und vielseitige Karriere zurückblicken. Studium am Mozarteum und der Wiener Musikhochschule, Stipendium der Alban Berg Stiftung, Studienaufenthalt an der Northern Illinois University bei Shmuel Ashkenasi, Anton Bruckner Preis der Wiener Symphoniker. Seit 1995 Mitglied der Camerata Salzburg und auch regelmässige Mitwirkung in Harnoncourts Concentus Musicus; 2000-2002 Stimmführerin/Konzertmeisterin bei der Wiener Akademie. Solistische Auftritte mit der Salzburger Kammerphilharmonie und der Camerata Salzburg im Wiener Musikverein, dem Brucknerhaus Linz etc.

Im Herbst 2005 Soloabend beim Festival WIEN MODERN mit Werken von Giacinto Scelsi und Luigi Nono. Ihrem besonderen Interesse für Kammermusik, hier vornehmlich im Bereich der "Alten" und "Neuen" Musik, folgen Auftritte mit Künstlern wie Ernst Kovacic, Vladimir Mendelssohn, sowie Mitgliedern des Alban Berg Quartetts und dem Hyperion Ensemble auf vielen internationalen Festivals. Intensive Beschäftigung mit Improvisation. MIt dem Tänzer Mario Mattiazzo entwickelte sie mehrere Stücke im Wiener Schauspielhaus und Odeon. Lehrverpflichtungen an einer Wiener Musikschule und an der Universität Mozarteum.


Karlheinz Essl (* 1960 in Wien)

Studium an der Wiener Musikhochschule: Komposition (Friedrich Cerha), Elektro-akustische Musik (Dieter Kaufmann), Kontrabass (Heinrich Schneikart). Studium an der Universität Wien: Musikwissenschaft und Kunstgeschichte. 1989 Promotion mit einer Dissertation über "Das Synthese-Denken bei Anton Webern".

Zunächst Kontrabassist in verschiedenen Kammermusik- und Jazz-Ensembles. Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Musik und deren Aufführungspraxis. Untersuchungen zur Formalisierbarkeit musikalischer Prozesse führen zur Entwicklung von Software-Environments für Algorithmische Komposition.

Unterrichtete zwischen 1995-2006 „Algorithmic Composition" an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz. Seit 2007 Kompositionsprofessor für elektro-akustische und experimentelle Musik an der Musikuniversität Wien. Musikintendant der Sammlung Essl in Klosterneuburg.

1990-94 composer-in-residence bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. 1992/93 Performance-Projekt "Partikel-Bewegungen" mit Harald Naegeli, dem Sprayer von Zürich. 1992/93 Realisierung eines Kompositionsauftrags des IRCAM in Paris. 1997 Komponistenportrait bei den Salzburger Festspielen. 2003 artist-in-residence des Festivals "musik aktuell", 2004 Reihe mit Portraitkonzerten am Brucknerhaus Linz. 2004 Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Musik.

www.essl.at
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