Dirigent: Peter Burwik Werke von Mark Applebaum (Uraufführung eines Kompositionsauftrages der Sammlung Essl), Johannes Maria Staud und anderen
Der heutige Abend findet im Rahmen von WIEN MODERN statt, Österreichs größtem Festival für zeitgenössische Musik, das 1988
von Claudio Abbado gegründet. Seit Anbeginn besteht eine enge Verbindung mit der Sammlung Essl, die alljährlich einen Kompositionsauftrag
für das SCHÖMER-HAUS vergibt, der während des Festivals uraufgeführt wird. Eine ansehnliche Reihe von Komponisten – unter
ihnen Friedrich Cerha, Roman Haubenstock-Ramati, Ramón González-Arroyo, Isabel Mundry, Richard Barret und Pascal Dusapin –
haben mit ihren Auftragswerken unterschiedliche Façetten des akustischen Potentials dieser beeindruckenden Architektur ausgeleuchtet
und damit exemplarische Statements zum Thema „Musik und Raum“ abgegeben.
Im Mittelpunkt des heutigen Konzertes steht die Uraufführung eines Werkes von Mark Applebaum, dessen Enstehung durch den Innenraum des SCHÖMER-HAUSES und seiner Nähe zu Wien – der Stadt Sigmund Freuds – inspiriert
ist: In einer minutiös durchkomponierten Raumperformance werden psychische Störungen musikalisch thematisiert, wobei das Werk
deutliche Züge eines Musiktheaters trägt.
Diese Überschreitung von Genregrenzen ist auch wiederkehrendes Thema des im heurigen Sommer tragisch verstorbenen italienischen
Komponisten Fausto Romitelli, der oftmals verpönte Klangwelten wie den Sound von Rockgitarren in seine Werke integrierte und damit der mitunter klischeehaften
Klangsprache der Neuen Musik frische und freche Akzente entgegensetzte.
Eine ähnliche Dialektik – die Spannungsdifferenzen zwischen einer elaborierter Kompositionsstruktur und einer klanglicher
„low tech“-Ebene – zeigt sich auch im Werk des jungen Österreichers Johannes Maria Staud, der kürzlich durch seine Oper „Berenice“ internationale Anerkennung erfuhr.
Die Realisation dieses aufwändigen Programms erfolgt durch das „Ensemble XX. Jahrhundert“ mit seinem Leiter Peter Burwik,
dem ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen möchte.
Dr. Karlheinz Essl Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES
Programm
Johannes Maria Staud (* 1974): Configuration/Reflet (2002) für 4 Bläser und 4 Streicher
Fausto Romitelli (1963-2004): Blood on the Floor, Painting 1986 (2000) für Flöte, Klarinette, E-Gitarre, Keyboard und Streichquartett
Mark Applebaum (* 1967): Asylum (2004) Ritual for Solo Percussion & 9 Super-Egos Kompositionsauftrag der Sammlung Essl - Uraufführung
Ausführende
Ensemble XX. Jahrhundert Renate Linortner: Flöte Adolf Traar: Oboe Stefan Neubauer: Klarinette Daniel Hörth: Klarinette Robert Brunnlechner: Fagott Andrej Kasijan: Horn Stefan Turner: Posaune Ivana Pristasova: Violine Lucia Hall: Violine Wladimir Kossjanenko: Viola Hartmut Pascher : Viola Attila Pasztor: Violoncello Harald Jäch: Kontrabass Lajos Horvath: Gitarre Florian Kmet: E-Gitarre Harald Ossberger: Sampler
Dirgent: Peter Burwik
Schlagzeug: Bernd Thurner
WERKKOMMENTARE
Johannes Maria Staud: Configurations / Reflet
Dieses Werk besteht aus mehreren, deutlich von einander abgegrenzten Einzelteilen von unterschiedlicher Dauer. Die drei Holzbläser
und das Horn einerseits sowie die vier Streicher andererseits sind symmetrisch in Strahlenform um eine (gedachte) Spiegelachse
gruppiert. Die beiden, bezüglich der natürlichen Instrumentencharakteristika sehr disparaten Gruppen werden von zwei Hi-Hats
und zwei Bass-Drums (die von vier Instrumentalisten ausschließlich mit Fußmaschine bedient werden) unterstützt. Diese klanglich
wenig zu modifizierende «Low-tech»-Schicht, die mit der doch sehr ausdifferenzierten Klangebene der Blas- und Streichinstrumente
in Konkurrenz tritt, stellte für mich eine äußerst reizvolle kompositorische Herausforderung dar. Kein vermittelndes Beckentremolo,
kein zwischen verschiedenen Klangfarben überbrückender Mallet-Klang, kein Tiefe gebender Tam-Tam- oder aufhellender Triangelklang,
sondern einzig zwei nackte, nur durch Dynamik und den Gegensatz trocken/mit Nachhall modifizierbare Klangquellen geben dem
musikalischen Geschehen mehr Plastizität, lösen aber auch Reaktionsketten aus.
Johannes Maria Staud: geb. 1974 in Innsbruck. 1994–2001 Studium an der Wiener Musikhochschule: Komposition bei Michael Jarrell, Iván Eröd und Dieter
Kaufmann.1999/2000 Komposition bei Hanspeter Kyburz an der Hanns Eisler Hochschule für Musik in Berlin. Meisterkurse unter
anderem bei Brian Ferneyhough. 1999 Stipendiat der Alban-Berg-Stiftung. 2000 1. Preis beim «Hanns-Eisler»-Kompo-sitionswettbewerb
in Berlin . 2001 Förderpreis für Musik der Republik Österreich . 2002 Kompositions-preis der Salzburger Osterfestspiele .
20031. Preis des International Rostrum of Composers. 2004Uraufführung des Musiktheaters Berenice bei der Münchner Biennale
für neues Musiktheater
Fausto Romitelli : Blood on the Floor, Painting 1986
Das Stück wurde von einem Bild Francis Bacons inspiriert und trägt dessen Titel. Das am Rande des Bildes gekreuzigte Fleisch,
das an einem instabilen Träger fixiert ist, verschwindet in den 80er Jahren aus den Bildern. Das vollkommenste Beispiel dafür
stellt Blood on the floor dar: Der enge Boden wird senkrecht aufgerichtet, wie ein Sprungbrett und über einem gleichmäßigen
Orange. Diese Farbe wird aus den frühen Werken übernommen. Es ist das Orange des Gewitters und des Krieges, die Urexplosion,
die Geburt der Farben. Indem Bacon die verbundene Realität von Szene und Zuschauer zerstört, schleudert er das gewaltvolle
Leben des Körpers ohne Vermittler und ohne Gliederung in einen metaphorischen Kodex. (Michèle Monjauze, Bacon ou les paradoxes
createurs; aus dem Französischen übertragen von Roberto Fabbi)
Fausto Romitelli: geboren 1963 in Gorizia/Italien, gestorben 2004 in Mailand. Kompositionsstudium bei Franco Donatoni (Siena) sowie bei Hugues
Dufourt und Gérard Grisey (Paris). 1991 Teilnahme an der «Stage d’informatique musicale» des IRCAM/Paris. 1993–95 «Compositeur
en recherche» am IRCAM/Paris. Gewinner zahlreicher Kompositionswettbe-werbe u. a. in Amsterdam, Frankfurt, Stockholm, Siena.
Einladungen zu bedeutenden internationalen Festivals (u. a. Festival d’Automne, Ultima Helsinki, steirischer herbst/Graz,
Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, Reggio Emilia). Aufführungen durch: Ictus Ensemble, Groupe L’Itinéraire,
Ensemble InterContemporain, Musiques Nouvelles, ensemble recherche, Nieuw Ensemble, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und
Orchestre Philharmonique de Radio-France.
Mark Applebaum: Asylum
Asylum ist ein 20minütiges Werk für Solo-Schlagzeug und kleines Ensemble, ein Nonett aus Flöte, Klarinette, Horn, Posaune,
Gitarre, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass. Das Werk illustriert in Klang umgesetzte psychische Störungen. Es besteht
aus 22 sich überlagernden Untergruppen – dazu zählen ein bipolares Oktett, ein zwanghaft-obsessives Trio, ein narkoleptisches
Quartett, ein an Aufmerksamkeitsdefizit leidendes hyperaktives Quintett, ein tourrettsches Oktett (das in unerwartete und
unangebrachte Ausbrüche verfällt), ein paranoider Flötist, ein katatonischer Hornist, ein asozialer Gitarrist, ein narzisstischer
Kontrabassist und ein abhängiger Violinist – es trachtet danach, die Natur der expressiven Autonomie, der künstlerischen Verwandlungskunst
und kreativen Aphasie zu erkunden.
Das Stück durchläuft fünf miteinander verbundene Abschnitte. In jedem Abschnitt agiert der Solo-Schlagzeuger – das Subjekt
– in einzigartiger Weise mit der Menagerie seiner inneren Dämonen. In manchen Abschnitten ist er außerstande, mit den Faktoren
seiner Psyche umzugehen, während er sie in anderen willentlich kontrolliert; zuweilen kommen konventionelle Schlaginstrumente
zum Einsatz, dann wiederum spielt er auf unkonventionellen, etwa einer mechanischen Schreibmaschine; zumeist hat er einen
festen Standort, manchmal aber bewegt er sich zwischen den Ensemblemitgliedern hin und her. Das Ausmaß seines Einblicks in
die gegebene Unordnung zeigt sich an der bewusst ungewöhnlichen räumlichen Positionierung der Ensemblemitglieder, die bei
der Premiere um die Bühne herum in den Galerien und Treppenaufgängen des außergewöhnlichen SCHÖMER-HAUSES in Klosterneuburg
platziert sind – der Ort, für den Asylum in Auftrag gegeben wurde.
Mein besonderer Dank und meine Freundschaft gilt dem Komponisten Karlheinz Essl, der dieses Werk für Wien Modern 2004 in Auftrag
gegeben hat, sowie Peter Burwik und den unerschrockenen Musikern des Ensemble XX. Jahrhundert, die dieses Stück zum Leben
erwecken. (Übersetzung aus dem Englischen: Gina Mattiello)
Mark Applebaum: geboren 1967 in Chicago. Studium bei Brian Ferneyhough an der University of San Diego. Aufführungen in Europa, Asien und
den Vereinigten Staaten. Mitwirkung und Uraufführungen bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt . Ab
1990 Einsatz selbstgebauter Instrumente („Mousetrap“). 1994 Jazzpreis der Southern California Jazz Society. 1997 Stephen Albert
Award des American Music Center. Tätigkeit als Jazz-Pianist. Lehrtätigkeit als Assistenzprofessor für Komposition an der Stanford
University.
INTERPRETEN
Ensemble XX. Jahrhundert
Dieses Solisten-Ensemble wurde 1971 von seinem Leiter Peter Burwik gegründet und formiert sich aus ersten Mitgliedern der
großen Wiener Orchester und freischaffenden Instrumentalisten.Sein Ziel ist es, die Musik des 20. Jahrhunderts bekannt zu
machen und das Gegenwartsschaffen zu fördern. Unter diesem Aspekt wurden und werden zahlreiche Kompositionsaufträge an in-
und ausländische Kompo-nisten vergeben.
Einen wesentlichen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Schönberg, Berg und Webern
- und folglich reicht sein Repertoire von der "Wiener Schule" und Vertretern der klassischen Moderne bis hin zu Berio, Boulez,
Saariaho, Stockhausen, Pärt, und Klaus Huber. Zahlreiche Vertreter des internationalen Gegenwartsschaffens wurden vom ensemble
xx. jahrhundert in Wien erstmals umfassend in Portrait-Konzerten vorgestellt, etwa Steve Reich, Vinko Globokar, Morton Feldmann,
Younghi Pagh-Paan, Emanuel Nunes und Barbara Kolb.
Das Ensemble blickt seit seiner Gründung auf eine rege Konzerttätigkeit im In- und Ausland zurück.. Neben zahlreichen Auftritten
in Wien - im Wiener Konzerthaus, im Rahmen der Wiener Festwochen, bei "wien modern" oder im ORF, mit dem schon seit 1975 eine
intensive Zusammenarbeit besteht - war das Ensemble auch oftmals in den Bundesländern zu Gast, wie beim Steirischen Herbst,
beim Carinthischen Sommer oder beim Linzer Brucknerfest. Darüber hinaus wurden auf Konzertreisen in Frankreich, Belgien, Polen,
Deutschland, Schweden, Italien, England, Rußland, Aserbaidjan und in der Schweiz wichtige aktuelle Programme präsentiert.
Von den zahlreichen internationalen Festivals, zu denen das Ensemble eingeladen war, seien nur die Salzburger Festspiele,
die Wiener Festwochen, das Edinburgh-Festival, die Berliner Festspiele, das Hong Kong Arts Festival, jenes von Huddersfield,
der Warschauer Herbst, "Musica" in Strasbourg und das Enescu-Festival in Bukarest, erwähnt.
Nach der Uraufführung von „Fear Death by Water“ von Franz Koglmann am 18. März 2003 im Wiener Museums Quartier und Konzerten
im Jazz Club Porgy & Bess und im Arnold Schönberg Center Wien beschäftigt sich das Ensemble verstärkt mit der Präsentation
grenz- und genreüberschreitender Kompositionen, sei es mit dem Projekt „Alter Wiener Musik“, bei dem Komponisten unterschiedlichster
stilistischer Positionen zur Auseinandersetzung mit originalem Volksliedgut animiert werden, sei es mit der in vier Festivals
geplanten Präsentation von zeitgenössischen Kompositionen aus China, Mexiko, Aserbajdschan, Kaukasus Ländern und aus Südamerika.
Weiters sind grenzüberschreitende Projekte mit österreichischen zeitgenössischen Literaten geplant.
Peter BURWIK
erhielt seine Dirigentenausbildung an der Wiener Musikakademie bei Hans Swarowsky und promovierte zum Doktor der Theaterwissenschaften
an der Universität Wien - weiterführende Studien und enge Zu-sammenarbeit mit Bruno Maderna in Salzburg und Darmstadt beeinflußten
Burwiks musikalische Ent-wicklung gleichermaßen nachhaltig.
1971 gründete das Ensemble XX. Jahrhundert in Wien, das er seither leitet. Neben zahlreichen Konzerten bei den Wiener Konzerthäusern
und im ORF, folgte er mit dem Ensemble zahlreichen Einladungen zu renommierten Festivals wie: Salzburger Festspiele, Berliner
Festwochen, Edinburgh Festival, Warschauer Herbst, "Musica" Strasbourg, Festival de Lille, IRCAM Paris, Huddersfield-Festival,
Hong Kong Arts Festival, Lugano, Baku, Genf, Moskau, Mexiko . Zudem war Burwik Gast bedeutender Orchester. So leitete er etwa
die Wiener Symphoniker, das RSO Berlin, das Orchestre Philharmonique Paris, das WOS Katowice, das NDR-Symphonieorchester Hamburg
sowie das ORF-Symphonieorchester, das Sym-phonieorchester des SF-Stuttgart, das Rundfunkorchester in Lissabon und das Orchestre
National de Lille. Seine Tätigkeit als ständiger Gastdirigent bei der Mährischen Staatsphilharmonie (1991-94), die ausschließlich
dem klassischen und romantischen Repertoire gewidmet war, beendete Burwik mit einer Aufführung der 2. Symphonie von Gustav
Mahler.
Seit 1987 unterrichtet Peter Burwik an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst.
Bernd THURNER
Geboren in Wolfsberg, Kärnten. Studierte am Kärntner Landeskonservatorium in Klagenfurt Schlagwerk und schloss das Studium
mit Diplom ab. Während des Studiums intensive Beschäftigung mit Jazz und lmprovisation.Er bereist aus Leidenschaft abgelegene
Regionen auf der ganzen Welt und bereichert durch seine mitgebrachten Eindrücke und Instrumente seine Musik. Zweijähriges
Stipendium der Kärntner Landesregierung, postgraduales Studium am Sweelinck Conservatoriurn Amsterdam. Zahlreiche Meisterkurse
u.a. bei Robert van Sice (Rotterdam) und Steven Schick (New York).
Auftritte bei europäischen Festivals wie Wien Modern, Holland Festival, IGNM Weltmusiktage, etc. Mitglied verschiedener Ensembles
für zeitgenössische Musik (Ensemble 21st Century Music, Janus Ensemble, Ensemble symphoid, music on line, Ensemble des 20.
Jhdt.) Arbeitet in verschiedenen Kammermusikbesetzungen und als Solist.