NICHTS

von Georg Friedrich Haas

NICHTS

von Georg Friedrich Haas
Sa, 08.03.2003, 19:30 Uhr

Das Schömer-Haus

Der heutige Abend eröffnet das niederösterreichische Festival musik aktuell, in dessen Zentrum diesmal die beiden eng miteinander verknüpften Aspekte KLANG und RAUM stehen.
Der heutige Abend eröffnet das niederösterreichische Festival musik aktuell, in dessen Zentrum diesmal die beiden eng miteinander verknüpften Aspekte KLANG und RAUM stehen. Als diesjähriger Kurator des Festivals richtete sich mein Interesse besonders auf solche Projekte, die sich – abseits von bestimmten ästhetischen oder stilistischen Orientierungen – mit diesen beiden Phänomenen auseinandersetzen und dabei das Risiko eingehen, Grenzen zu überschreiten.

Das Werk von Georg Friedrich Haas, das heute zur Aufführung gelangt, ist ein Paradebeispiel für die gelungene Synthese dieser beiden Ausgangspunkte: es bezieht nicht nur den architektonischen Raum als kompositorisches Element mit ein, sondern schafft überdies neuartige harmonische Klangräume, die sich einer aus der Obertonreihe abgeleiteten mikrotonalen Stimmung verdanken. Zudem sprengt dieses Werk die normierten Aufführungssituation des traditionellen Konzertsaales: es beginnt bereits, bevor das Publikum den Raum betritt, und setzt anstelle einer exakt ausgearbeiteten Partitur ein offenes System von Spielanweisungen, die durch improvisatorische Mitteln zum Klingen gebracht werden.

In diesem Sinne ist der heutige Abend weniger als Konzert, sondern viel mehr als konzertante Klanginstallation zu verstehen, die meditativ erfahren werden kann.

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES


Programm

Georg Friedrich Haas (* 1953)
NICHTS (1998)
Klangraum für Basstuba / Kontrabasstuba / Kontrabassposaune,
mikrotonal umgestimmtes Klavier und Schlagzeug

Entstanden 1998 auf Anregung von Ute Pinter für eine Veranstaltungsreihe im Rahmen des Kulturzentrums Minoriten in Graz


Ausführende

Klaus Burger: Basstuba / Kontrabasstuba / Kontrabassposaune
Georg Friedrich: Klavier
Elisabeth Flunger: Schlagzeug


Ute Pinter
NICHTS

1998 haben sich auf Einladung des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz mehr als 20 KünstlerInnen und TheoretikerInnen dieses Themas angenommen, mögliche Zugänge und Annäherungen in musikalischer, literarischer, bildender und theoretischer Weise und als Performance gesucht.

NICHTS – als das nicht Hörbare und trotzdem Existente, als Schallwellen, die das menschliche Ohr durch seine beschränkte Physiognomie in vielen Frequenzbereichen nur nicht wahrnehmen kann.

NICHTS – als leerer Raum, der im Kunstkontext zur Skulptur erhoben wird.

NICHTS – als das, was sich nicht haltbar machen lässt, nicht von Bestand ist. Als die Welt des Traumes, als die Welt der Sprache.

NICHTS – als die Aufhebung des ich (man denke an das mittelhochdeutsche Wortpaar iht/niht ...).

NICHTS – als ein Etwas in der Werkstatt der Erinnerung.

NICHTS – als das Konzept des weißen Quadrates auf weißem Grund.

NICHTS – als Abstraktion, als Befreiung, als Negation, als Subversion der Repräsentation.

NICHTS im Sinne Bodhidharmas - Das Nichts ist klares Schauen. Es ist das Nichtirgendetwas. Es ist weder Mensch noch Buddha.

NICHTS als existentialistische Nichts ...

NICHTS als ...

Georg Friedrich Haas wählte als Ausgangspunkt seiner Komposition keinen ästhetischen, keinen philosophischen, keinen religiösen. Haas schrieb in seiner Komposition „NICHTS“ gegen das NICHTS an.


Georg Friedrich Haas
NICHTS

Wir haben NICHTS davon gewusst.
Wir haben NICHTS damit zu tun.
Wir haben uns NICHTS zu Schulden kommen lassen.

„NICHTS“ entstand 1998 auf Anregung von Ute Pinter für eine Veranstaltungsreihe im Rahmen des Kulturzentrums Minoriten in Graz. Das Stück enthält Improvisationselemente und ist als Verbalpartitur notiert. Das Klavier ist teilweise mikrotonal umgestimmt, sodass die beiden Partialtonreihen des Kontra-As und des Kontra-G bis zum 11. bzw. 17. Teilton gespielt werden können. Die davon nicht betroffenen Tonhöhen erklingen in temperierter zwölftöniger Stimmung.

Im Mittelpunkt von „NICHTS“ steht das slowenische Wallfahrtslied „Farmani in romarji“, das erst am Ende wahrnehmbar zitiert wird. „Farmani in romarji“ ist der Volksliedsammlung “Vsaka vas ima svoj glas” (Celovec, 1991), herausgegeben von Engelbert Logar – der mir auch in Gesprächen wertvolle Hinweise und Anregungen vermittelt hat - entnommen.

„NICHTS“ ist dem Gedenken an die Deportationen und an die Gewalt gewidmet, die an Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in der Steiermark durch die Nazis ausgeübt wurde – ein Thema, dessen historische Aufarbeitung noch aussteht.


Ute Pinter im Gespräch mit Georg Friedrich Haas

Ute Pinter: Die Geschichte Österreichs ist geprägt durch die Haltung des Verdrängens, Vergessens, nicht wissen Wollens. Deine Komposition NICHTS war als Musik gegen dieses Vergessen gedacht. Im konkreten Fall eines weiteren Kapitels unaufgearbeiteter Geschichte, der Verfolgung slowenischer Minderheiten in der Steiermark. Ein konkretes Schicksal als Ausgangspunkt für das Unbegreifliche schlechthin?

Georg Friedrich Haas: Volkszählungsergebnisse des 19. Jahrhunderts belegen, dass die Steiermark damals ein zweisprachiges Land mit fließender Sprachgrenze war. Heute ist vom Slowenischen quasi nichts mehr vorhanden. Diese auch sprachliche Germanisierung ging speziell von deutschnationalen bürgerlichen Kreisen aus. Und dieses Bürgertum ist weitgehend wiederum im Nationalsozialismus aufgegangen. Dessen antisemitischen Wurzeln sind bekannt, die antislowenischen wurden nicht nur verschwiegen, sondern als “Grenzlandideologie” weitergeführt. NICHTS reflektiert diese konkrete Thematik der Verfolgung slowenischer Minderheiten und ist darüber hinaus natürlich auch ein Ausdruck für das bewußte Vergessen schlechthin. Als ich 1998 den Kompositionsauftrag zum Thema NICHTS vom Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz bekommen habe, hätte sich bei dieser Thematik freilich auch schnell ein anderer Einstieg finden lassen können, etwa in Richtung buddhistischer Erlösungsphilosophien. Aber schon damals spürte ich demgegenüber ein Unbehagen, das sich nunmehr in der aufgedeckten Verbindung von Buddhismus und Nationalsozialismus bestätigt. Aber: Verdrängtes schafft und wird sich Ausdruck schaffen, lässt sich nicht auf Dauer vergessen!


UP: Bei vielen Titeln Deiner Werke, wie etwa “kein Ort für Begegnung”, “Wer, wenn ich schriee, hörte mich ...”, “in vain” oder “de terrae fine” schwingen für mich auch die Unmöglichkeit der Erlösung, die Unmöglichkeit des Falls aus der Geschichte, die Unentrinnbarkeiten menschlichen Handelns mit – sei es auf persönlicher oder gesellschaftlich historischer Ebene. So verstehe ich auch NICHTS als sehr persönliches statement mit politischer Dimension. Gibt es Folgeprojekte, die diesen starken historischen und politischen Bezug, diese Motivation haben?

GFH: Prinzipiell glaube ich, dass mit Musik nicht klar definierte politische Botschaften vermittelbar sind; dass der Versuch, politische Stücke zu schreiben, scheitert, je konkreter die Absicht ist. Es ist eher umgekehrt: Mein prinzipielles politisches Bewußtsein evoziert die Musik. Ebenso können es auch konkrete Anlässe, konkrete politische Auslöser sein, die dann in der Musik mitwirken. Aber ich schreibe nicht vordergründig politische Stücke. Und was der Hörer dann rezipiert, bleibt ihm selbst überlassen, kann nur ihm überlassen bleiben.


UP: Welche realpolitische und gesellschaftliche Wirkung traust Du Musik zu?

GFH: Wenig. Aber ich glaube an die Kraft der Sensiblisierung im Einzelfall, an die subkutane Wirkung der Musik.


UP: Bei Deinem Werk NICHTS bietest Du den InterpretInnen erstmalig improvisatorische Spielräume. Wie sind diese Freiräume definiert, welche Fixpunkte prägen das Stück in Bezug auf Konstruktion, (zeitliche) Strukturierung, Materialvorgaben u. ä.

GFH: Die Harmonik ist weitgehend vorgegeben: In den Obertonakkorden, die auch Abbildung des Klangspektrums der Basstuba sind, und in den Wyschnegradsky-Akkorden, die als Variante des Klangspektrums des Beckens angesehen werden können. Die zeitliche Strukturierung ist sehr offen gehalten, wird von den Interpreten weitgehend selbst gewählt. Übergänge, wenn nicht anders vorgegeben, werden durch einen der Interpreten selbst angezeigt, wobei die formale Abfolge wiederum klar definiert ist.


UP: Welche Erfahrungen hast Du mit dieser Konzeption gemacht? Ist sie auch in der Folge in Deinen Kompositionen zu finden?

GFH: Natürlich haben die Erfahrungen mit NICHTS weitergewirkt. So finden sich etwa in den Dunkelphasen von “in vain” interpretatorische Freiräume. Ebenso im dritten Streichquartett. Und auch in meiner neuen Kammeroper “die Pferde und die Ratten und die Lerche”, einem Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und NetzZeit Wien, kommt diese Erfahrung zum Zug.


UP: Inwieweit schätzt Du den Themenkreis Komposition – Improvisation - fixierte Improvisation – Instant Composing ... als signifikant für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts ein?

GFH: Spielräume für Interpreten hat es wohl in der einen oder anderen Weise schon immer gegeben. Man denke etwa an die Barockzeit, wo sie allerdings sehr stark in Normenkorsetts gedrängt waren. Oder an die Kadenz in der Klassik. Im 20. Jahrhundert ist die Anzahl an graduellen Übergängen mit unterschiedlichen Freiheitsgraden dann rapid gestiegen. Da gibt es unzählige Beispiele dafür: John Cage, Vinko Globokar, Morton Feldman ... , der ganze Bereich der Jazz- und Improvisationsmusik ...


UP: Wie kam es zur konkreten Besetzung des Trios NICHTS mit Klavier, Schlagwerk und der nicht gerade gängigen Kontrabassposaune?

GFH: Bei NICHTS haben sicherlich die InterpretInnen die Besetzung provoziert. Mit Klaus Burger verbindet mich eine langjährige Freundschaft, er zählt für mich zu den überzeugendsten Interpreten überhaupt und ich schätze unsere Zusammenarbeit überaus. Elisabeth Flunger wiederum hatte mich schon lange durch ihr selbst gefundenes und zusammengestelltes Instrumentarium fasziniert, das die ohnedies schon reiche dynamische Klangpalette des Schlagwerks noch erweitert. Was alle Instrumente darüber hinaus verbindet ist der Metallklang, der mir in diesem Zusammenhang wichtig war. NICHTS ist also sehr stark mit diesen beiden Musikerpersönlichkeiten verbunden und wurde bislang auch nur in dieser Besetzung aufgeführt.


UP: Die Beschäftigung mit Mikrotonalität ist für Dich seit Beginn Deiner Laufbahn bestimmend, ein zentrales Thema in Deinen Kompositionen, wie etwa dem “Ersten Streichquartett” u.v.a.m. Ebenso spielen Experimente mit Obertonkonstellationen eine wichtige Rolle. Inwieweit sind diese beiden zentralen Punkte bei Deiner Komposition NICHTS von Relevanz, auch im Sinne eines außermusikalischen Bedeutungsträgers?

GFH: Alle Werke, die zwischen den beiden Opern entstanden sind, also vom ersten Streichquartett bis “in vain”, sind durch Oberton- und Wyschnegradsky-Akkorde geprägt. Dies ist ein prinzipielles kompositionstechnisches Faktum. Interessant im Zusammenhang mit NICHTS ist dabei, dass in der österreichischen und speziell in der slowenischen Volksmusik eine Annäherung an die Obertonharmonik, speziell den 11. und 13. Teilton, eine große Rolle spielt. Darüber hinaus habe ich bei NICHTS eine rhythmische Technik aufgegriffen, die ich bereits 1983 in meiner “Hommage à Steve Reich” verwendet habe: Die Schichtung von verschieden langen wiederholten patterns (5/16 – 7/16 / 7/16 – 9/16 / 9/16 – 11/16 11/16 – 13/16), die eine Gleichmäßigkeit ergeben, die doch in jedem Moment als Überraschung wahrgenommen werden kann.


UP: Du wirst auch bei dieser Aufführung von NICHTS wieder selbst den Klavierpart übernehmen. Wie gehst Du mit dem Werk mit der zeitlichen Distanz von über vier Jahren seit Fertigstellung um, inwieweit wird die Interpretation anders ausfallen?

GFH: Durch die bereits angesprochenen improvisatorischen Freiräume, die die Musiker ja auch jedes mal neu zu nutzen haben, fällt auch die Interpretation immer neu aus. Jede Aufführung eine Uraufführung sozusagen.


Interpreten

Georg Friedrich Haas wurde am 16. August 1953 in Graz geboren und ist in Tschagguns (Vorarlberg) aufgewachsen. An der Musikhochschule Graz studierte er von 1972 bis 1979 Komposition u. a. Gösta Neuwirth und Ivan Eröd, Klavier bei Doris Wolf sowie Musikpädagogik. Von 1981 bis 1983 setzte er seine Studien bei Friedrich Cerha an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien fort. 1980, 1988 und 1990 besuchte Haas die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, 1991 einen Informatikkurs am IRCAM in Paris. Am Beginn seines Komponierens noch stark von mathematischen Modellen beeinflusst, folgte nach “quasi una tanpûra” für Kammerensemble eine Abkehr von strenger Konstruktion zugunsten der freien Entfaltung klanglicher Möglichkeiten, die in den Werken Morton Feldmans und Luigi Nonos ihre Vorbilder haben. Neben der Verwendung von Mikrointervallen, die er am Schaffen Ivan Wyschnegradskys, Giacinto Scelsis und James Tenneys studiert hat, sind es auch historische Rückgriffe, die Haas zur Bereicherung seiner Tonsprache riskiert. Als Stipendiat der Salzburger Festspiele 1992/93 komponierte er sein erstes Orchesterstück “Descendiendo”. 1992 erhielt der Komponist den Sandoz-Preis, 1995 den Förderungspreis für Musik des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, 1998 den Ernst Krenek Preis der Stadt Wien für “Nacht”, 2002 den Musikpreis der Stadt Wien. Haas´ Werke standen auf den Programmen der Festivals Wien Modern, Musikprotokoll Graz, Bregenzer Festpiele, Musik Biennale Berlin, Wittener Tage für Neue Kammermusik, Insel Musik Berlin, Musik der Zeit Köln, Frankfurt Alte Oper, Darmstädter Ferienkurse, Biennale Venedig, Akiyoshidai Festival (Japan), Festival d´Automne in Paris, Huddersfield Festival und wurden u. a. in Zürich, Sevilla, Barcelona, Royaumont, Oslo und New York aufgeführt. Georg Friedrich Haas publizierte ab 1980 wissenschaftliche Aufsätze über Werke von Luigi Nono, Ivan Wyschnegradsky, Alois Hába und Pierre Boulez. Im Herbst 2002 nahm Haas seine Lehrtätigkeit an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz wieder auf und lebt derzeit in Wien.


Elisabeth Flunger stammt aus Südtirol und lebt in Wien. Studium der Musikwissenschaft und Ethnologie an der Universität Wien, Komposition und Schlaginstrumente an der Musikhochschule. Ab 1987 freiberufliche Schlagzeugerin vor allem für zeitgenössische Musik, als Solistin und in Ensembles, u. a. Klangforum Wien, die reihe, Ensemble des 20. Jahrhunderts. Beschäftigung mit kubanischer, brasilianischer und afrikanischer Percussion. Tätigkeit als Musikerin, Komponistin und Performerin in Theater- und Tanzproduktionen. Zusammenarbeit mit MusikerInnen unterschiedlichster Stilrichtungen, freie Improvisation.


Klaus Burger ist bekannt als einer der führenden Tubisten Deutschlands (Tuba-Studium mit Meisterklassendiplom samt Auszeichnung). Der freischaffende Musiker ist ein gefragter Solist bei den renommiertesten Ensembles der zeitgenössischen Musikszene. Zahlreiche ihm gewidmete Werke hat er in den vergangenen Jahren uraufgeführt. Er schreibt Filmmusik, Hörspielmusik und Theatermusik und komponiert für Konzerte, intermediale und Improvisationsprojekte. Mauricio Kagel über den Musiker: „Klaus Burger macht der Zunft der Tubisten alle Ehre: Unermüdlich setzt er sich mit der Zukunft der Tuba auseinander und bläst sich durch alle Möglichkeiten durch.
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