WIEN MODERN - Hidden Voices

Werke von Konrad Rennert

WIEN MODERN - Hidden Voices

Werke von Konrad Rennert
Sa, 24.11.2001, 19:30 Uhr

Das Schömer-Haus

Musik und ihre visuellen Aspekte" lautet die Kernidee des diesjährigen Festivals WIEN MODERN, in dem die mannigfachen Beziehungen und Berührungen zwischen Musik und Bildender Kunst thematisiert werden sollen. Im heutigen Konzert geht es vor allem um das Unsichtbare, das als verborgenes Bild nur durch die Mittel von Klang und Raum ausgedrückt werden kann.
Musik und ihre visuellen Aspekte" lautet die Kernidee des diesjährigen Festivals WIEN MODERN, in dem die mannigfachen Beziehungen und Berührungen zwischen Musik und Bildender Kunst thematisiert werden sollen. Im heutigen Konzert geht es vor allem um das Unsichtbare, das als verborgenes Bild nur durch die Mittel von Klang und Raum ausgedrückt werden kann; um die Umsetzung von bildhaften Vorstellungen mit rein musikalischen Mitteln. Das Bild eines versponnenen Fadens, die dem heute uraufgeführten Werk des spanischen Komponisten Ramón González-Arroyo zu Grunde liegt, dient als Ausgangspunkt für eine Komposition, die mit Klangfäden unterschiedlichster Beschaffenheit ein zartes, sich ständig veränderndes Gewebe spinnt. Das Verborgene sichtbar - oder besser: hörbar - zu machen thematisiert Jonathan Harvey in seinen "Hidden Voices", wo durch den Konflikt zwischen heterogenen Klangmaterialen tieferliegende Bedeutungsschichten freigelegt werden. "Fraktur XVI" von Konrad Rennert wurde als Auftragswerk der Sammlung Essl für das SCHÖMER-HAUS geschrieben: ähnlich wie bei Harvey treten hier unterschiedlichste Klangstrukturen und Spielattitüden in einen heftigen Diskurs, der immer wieder neue Formen von Übereinkunft oder Differenz ausbildet. Der heutige Abend ist aber auch dem Ensemble XX. Jahrhundert gewidmet, welches vor 30 Jahren von Peter Burwik gegründet wurde, und als Spezialensemble für Neue Musik eine Vielzahl von Komponisten begleitet und eine Fülle wunderbarer Musiker geprägt hat.

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES



Programm


Jonathan Harvey (* 1939)
Hidden Voices I (19296-99)
für Ensemble


Konrad Rennert (* 1958)
Fraktur XVI - Crossing the Bar (Variation mit Themen) (2001)
für Ensemble
Kompositionsauftrag der Sammlung Essl
Uraufführung



Ramón González-Arroyo (* 1953)
Twixt Tinged Twining Threads (2001)
für Ensemble
Uraufführung


Jonathan Harvey (* 1939)
Hidden Voices II (19296-99)
für Ensemble und CD-Zuspielung


Ensemble XX. Jahrhundert

Renate Linortner: Flöte
Vasile Marian: Oboe
Michael Domanig: Klarinette, Bassklarinette
Jian Zhang: Horn
Martin Schöpfer: Horn
Berndt Thurner: Schlagzeug
Ivana Pristasova: Violine
Chih-Yu Ou: Violine
Petra Ackermann: Viola
Melissa Coleman: Violoncello
Franz Ortner: Violoncello
Ernst Weissensteiner: Kontrabass

Dirigent: Peter Burwik

Klangprojektion: Karlheinz Essl


Konrad Rennert
Fraktur XVI - Crossing the Bar (Variation mit Themen)
für Ensemble (2001)
Kompositionsauftrag des SCHÖMER-HAUSES - Uraufführung

Seit 1992 arbeitet der österreichische Komponist Konrad Rennert an einem umfangreichen Werkzyklus unterschiedlichster Besetzungen, "in welchem durch das Aufzeigen vermeintlich unüberwindlicher Gräben Utopien zu deren Überbrückung in Gang gesetzt werden." Ein Zyklus kann die paradoxe Verbindung von geschlossenem System und offener Form schaffen. Zumal wenn seine abgeschlossenen Einzelteile zum Ausgangspunkt dafür werden, sich immer tieferschürfend mit bereits aufgeworfenen kompositorischen Fragen zu beschäftigen. Im Zyklus der Frakturen setzt Rennert Aspekte früherer Kompositionen mäandernd in nachfolgenden Werken fort, rückt bislang Verborgenes ins Zentrum, läßt manche Stränge auseinander- und auf unerwarteten Wegen wieder ineinander laufen.

Erstarrte Hörerwartungen und Konventionen reizen ihn "zuweilen zu scharfem, pointiertem Widerspruch": So kreisen die Frakturen um die Idee, einen - jeweils anders gearteten - anfänglichen Zustand des Getrenntseins zu überwinden und dabei gewohnte musikalische Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und zu brechen. Sei es, indem komplexe Gleichzeitigkeiten unterschiedlicher musikalischer Charaktere an die Stelle der gewohnten Sukzessivität treten ("Fraktur I - zerren, reissen" für Klaviertrio), sei es, "indem das Phänomen scheinbar eigendynamischer, tatsächlich aber von berechnender Autorität zynisch gelenkter Massenbewegungen" thematisiert wird ("Frakturen V, IX und X" für großes Orchester) oder Konzertrituale "perfid und nachhaltig in Frage gestellt werden" (z. B. "Frakturen II und XII" für Streichorchester bzw. acht Musiker und Schläuche). Die angepeilte Einheit, musikalisch im vollkommenen Unisono verwirklicht, ist "vielleicht ersehnt, aber immer auch gefürchtet. Muß ein nicht zu erreichender, utopischer Zustand denn überhaupt viel mehr sein als die Markierung einer Etappe - bald vernachlässigbar auf dem Weg zu immer neuen Lösungen?"

Seit "Fraktur VI - Gebrauchsmusik I: Domestic Relations" wird die Interaktion zwischen den ausführenden Musikern immer wichtiger. "Herdentrieb, Machtkampf, Flucht, Überraschung, Selbstvertrauen und Angst, Komik und Aushöhlung als musikalische Parameter schaffen Situationen, in welchen spielerisches Geplänkel unvermutet in bitteren Ernst umschlagen kann." Diese stark dramaturgische Auffassung von Komposition mag der Querdenker Konrad Rennert aus seiner intensiven Auseinandersetzung mit Literatur, Theater, freier Improvisation und Puppenspiel entwickelt haben.

Auch "Fraktur XVI - Crossing the Bar (Variation mit Themen)" folgt einem "quasi-dramatischen, dramaturgisch logischen Verlauf". Er wird aus dem Agieren der Musiker selbst entfaltet: Die einzelnen Stimmen sind gleichsam als "voneinander emanzipierte Persönlichkeiten" verstanden. Obwohl - um in der Metapher zu bleiben - einige Stimmen/ Persönlichkeiten andere Stimmen überzeugen wollen, bleibt doch "jedem sein eigener Atem, sein eigenes Timing". Denn wenngleich die Themen, die den einzelnen Stimmen zugeordnet sind, sehr Unterschiedliches vermitteln, treffen sich doch alle (oft ohne es zu bemerken) in einem ähnlichen Repertoire von Variationsmöglichkeiten. "Es geht um die gegenseitige Akzeptanz verschiedener Wege - aber vor allem unterschiedlicher Ausgangspunkte bzw. Herkünfte; um die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung in bezug auf ein möglicherweise gemeinsames Ziel." Zwischen völliger Unterschiedlichkeit der Stimmen und kaum erreichbarem reinen Unisono passiert man zahllose ineinanderfließende Stationen möglicher Brechungen. "Oftmals driften die instrumentalen Linien weit auseinander und entpuppen sich - die eine Imitation, Echo oder auch Zerrspiegel der anderen - als gefangen in ihrer eigenen Bewegung, in ihrer eigenen Zeit, in sich selbst."

Den Beinahe-Parallelismus exakt ausnotierter melodischer Linien, der oszillierende Verschiebungen, Unsauberkeiten, Kollisionen und Annäherungen miteinkalkuliert, bezeichnet Rennert als "heterogenes Unisono". Daß dieses durchaus auch außermusikalisch interpretiert werden kann, verdeutlichen seine eigenen Notizen zum Stück: "In "Fraktur XVI - Crossing the Bar (Variation mit Themen" ist das selbstbewußte Nebeneinander stark oder auch nur geringfügig unterschiedlicher Elemente zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Statt Uniform: Ungleichheiten, vielleicht auch einmal ungenaue Bezugnahme; statt Exerzieren im Gleichschritt: erwachsene Gelassenheit; statt kindischer Unterordnung: individuelles Vorgehen, das gemeinsame Ganze reif und unaufgeregt im Blickfeld - 'Toleranz'‹ als übergeordnetes Kompositionsprinzip. Unterschiedlichste Themen und Lebensweisen gerinnen zu einer einzigen permanenten Variation: Nicht durch Gleichschaltung, sondern in unseren Variationen sind wir alle - halbwegs - gleich." Es ist überraschend, wie sich bestimmte Relationen im Verlauf der Komposition verschieben. "Manche Charaktere entpuppen sich als überzeugender, als man es selbst vermutet hat, andere tragen nicht so weit, wie ursprünglich angenommen." Besonders spannend sind für Rennert, der mit dem Bereich der freien Improvisation sehr vertraut ist, die Balanceakte des Komponierens, in denen eine Situation anders verläuft als zunächst geplant. Beim Komponieren die Offenheit zu bewahren, sich aus dem Stegreif zu entscheiden und das Unplanbare geschehen zu lassen, ist bereits eine große Herausforderung: Darüber hinaus stellt sich Rennert der Aufgabe, zufällige Störelemente aufzufangen und nachträglich zu rechtfertigen, indem er ihnen Bedeutung und Sinn verleiht. Auch wenn - oder gerade weil - "ähnlich wie bei einer offenen Diskussion bis zuletzt unklar ist, ob man sich auf einen gemeinsamen Standpunkt wird einigen können."

Gerald Resch


Ramón González-Arroyo
Twixt Tinged Twining Threads
für Ensemble (2001)
Uraufführung

Ein Faden entsteht, indem lose Fasern miteinander versponnen werden. Zu unterschiedlichen Mustern verflochten, entwickelt sich aus Fäden ein Garn, aus Garnen eine Litze, aus Litzen schließlich ein Seil. Diese Folge der jeweiligen Auflösung der kleineren Einheit in die nachfolgende größere mag für sich genommen eine Banalität sein. Aber nicht selten sind es gerade derartige Alltäglichkeiten, die im Beobachter eine überraschende Gedankenkette auslösen. Und manchmal - wie im Fall von "Twixt Tinged Twining Threads" - kommt es vor, daß sie zur Anregung für eine freie Übertragung werden und sich letztendlich in Musik verwandeln.

Der spanische Komponist Ramón González-Arroyo hat für sein neues Werk das Konzept eines Fadens und seiner verschiedenen Aspekte reflektiert: Die Fasern, aus denen ein Faden besteht, gehen durch den Vorgang des Verspinnens vollkommen in ihm auf. Auch wenn sie - nunmehr in eine übergeordnete Einheit gebracht - gewissermaßen ihre Individualität verlieren, um dadurch die Bedeutung des neuen Begriffes zu erfüllen, sind sie doch immer noch als Grundbestandteil in diesem existent. Indem nun ein Faden wiederum mit anderen Fäden verflochten wird, verschwindet auch er im nächstgrößeren Strang. Mit anderen Worten: Ein Garn ist nichts anderes als mehrere Fäden, die in einem bestimmten Rhythmus ineinandergefügt wurden - ein Wechselspiel zwischen Bewahren und Aufgeben der Identität.

In diesem assoziativen Feld bewegt sich das Gewebe von "Twixt Tinged Twining Threads": "Im Konzept Faden liegt eine Einzahl, die ihrem Wesen nach eine Vielheit in sich schließt. In einer nicht erschöpfenden Weise werden verschiedene Perspektiven der Idee eines Fadens mit unterschiedlichen Arten seiner Verknüpfungen erkundet. Gewebte Fäden und ihre Bündelungen, wie farbige Linien, die auftauchen und verschwinden, werden mit mehr oder weniger eng verwandten anderen Fäden kombiniert, bleiben dabei aber (zumindest meistens) wahrnehmbar in ihrer Individualität. Gleichzeitig formen einzelne Fäden ein umfassendes Netz, dessen konstituierende Elemente sich in einer anderen Dimension zusammenfügen, um eine Figur zu bilden. Diese Doppeldeutigkeit wird immer faszinierender, je tiefer man in die Vielfalt geht." In dem Knäuel unterschiedlicher musikalischer Ideen kann man mitverfolgen, wie zusammenhängende Fäden verlaufen. Zu Knoten verdichtet und dann wieder in weite Maschen gelegt, leiten manche Figuren von einem Instrument zum nächsten weiter, auch wenn andersfärbige Stränge verdecken, daß es sich um denselben Faden handelt.

"Vom musikalischen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist das Konzept eines Fadens ambivalent. Es kann als eine elementare logische Einheit verstanden werden, aus der ein Fluß von Beziehungen abgeleitet wird, wie eine Stimme in einer polyphonen Textur. Es kann aber auch als einfaches Element der Färbung verstanden werden: als ein Element, das rein sinnlich beispielsweise die Charakteristik eines Klanges kennzeichnet."

Die zurückhaltenden Klänge, aus denen "Twixt Tinged Twining Threads" gewirkt ist, lassen bestimmte akustische Qualitäten hervortreten, die sich nur im Pianissimo offenbaren. Gonzáles-Arroyo entfaltet in leisen Schattierungen ein reiches Gewebe aus natürlichen und künstlichen Flageoletts, stärker oder schwächer verschmutzten Mehrklängen und zahllosen Abstufungen von geräuschhaftem Wischen, Schaben, Streichen und Tupfen. Der äußerste Rand der Hörbarkeit stellt sich - unvermutet - als weiter Raum für eine fein differenzierte Expressivität heraus.

Maßvolle Gesten schmücken die meist sehr reduzierte Tonsprache des Stücks. Manchmal nehmen sie einen so sprechenden Charakter an, daß es nicht fern liegt, von einem "barock ornamentierten Minimalismus" zu sprechen. Dabei ist weniger der repetitive Charakter bestimmter Figurationen von Bedeutung, als die Art und Weise, in der sich die Wahrnehmung verschiebt, indem sie verschiedene Elemente als aufeinander bezogen erkennt: "Ich liebe die Reibungen zwischen fast Identischem; das phantasievolle, aktive Hören, das die Mehrdeutigkeit des gerade noch Wahrnehmbaren (oder Verstehbaren) hervorruft; die Unvorhersehbarkeit des Resultats einiger Kombinationen, die es mit sich bringt, daß einige musikalische Schichten hinter die eine, auf die unsere hörende Kontrolle einwirkt, zurückgedrängt werden." Welche Stränge einer Komposition das Ohr erhascht, weiterverfolgen will und zu entwirren versucht, wird jeder Zuhörer anders erleben. Es gibt nicht nur einen Faden, bei dem beginnend sich ein Knäuel lösen läßt.

Gerald Resch


Jonathan Harvey
Hidden Voices I & II
für Ensemble mit CD-Zuspielung (1996-99)

Im frühen Mittelalter setzt eine folgenreiche Zweiteilung der Musikauffassung an, deren Auswirkung bis heute virulent ist: es handelt sich um die spannungsvolle Gegenüberstellung einer musica mundana, die sich in den klingenden, aber für menschliche Ohren nicht hörbaren Harmonien der Sphären ausdrücke, und einer musica humana, die das menschliche Maß zwischen Seele und Leib widerspiegele. Als Leitfiguren dieser beiden Richtungen fungieren zwei antike Gestalten: der legendenumwobene Philosoph Pythagoras, der die Zahlen und ihre Verhältnisse als die Bausteine der Welt gedeutet hat und ihre umfassende Ordnung in den wohlklingenden Harmonien verschieden großer Ambosse bestätigt gefunden haben will. Und der Musensohn und Halbgott Orpheus, der mit seinem Gesang die Steine erweicht und die Toten zum Leben erweckt haben soll. Indem diese beiden Formen von Musik Pythagoras bzw. Orpheus zugeordnet wurden (was der Philosoph Boethius um das Jahr 500 in seiner Schrift "De Institutione Musicae" tat), wurde die Grundspannung zwischen Universellem und Menschlichem personifiziert. Die Zweiteilung der Musik in musica mundana und musica humana blieb in Umformungen bis zur Renaissance ausgesprochen einflußreich, färbte sich immer stärker in das Gegensatzpaar Konstruktion - Emotion um und erlebte in Friedrich Nietzsches berühmter Gegenüberstellung von Apollinischem und Dionysischem eine weitere, allgemeinere Ausprägung.

Die Balance zwischen beiden Extremen, dem Rauschhaft-Wilden und dem Maßvoll-Reinen, stellt auch in der Gegenwart eine wesentliche Herausforderung des Komponierens dar, die in jedem neuen Werk neu gelöst werden muß. Auch Jonathan Harvey bemüht sich darum, in seiner Musik die beiden widerstrebenden Prinzipien in Einklang zu bringen.

Die "Hidden Voices" für Kammerensemble verfolgen in ihrer ausgewogenen Besetzung (vier Holzbläser, zwei Hörner, Schlagzeug und Streichsextett) eine formale Strategie, die auf die eventuelle Synthese kontrastierender Materialien ausgerichtet ist. Ein sehr fein gewobener Streichersatz trifft wiederholte Male mit den stark blockartig-homophon behandelten Holzbläsern zusammen, wobei es zu gegenseitigen Annäherungen der Texturen kommt (oft vermittelt von den beiden Hörnern und dem vor allem durch Röhrenglocken gekennzeichneten Schlagzeugpart). Nur in Ausnahmefällen gehen die verschiedenen Instrumentengruppen völlig ineinander auf, meistens beziehen sie gerade aus ihrer Unterschiedlichkeit den Impuls zum weiteren musikalischen Verlauf.

Im zweiten Teil (das zweite Cello wird durch eine CD-Zuspielung ersetzt) ist die Situation grundlegend verändert: Von den fünf Streichern hat sich ein konzertantes Trio aus Violine, Bratsche und Violoncello abgesondert, das restliche Ensemble tritt ganz in die begleitende Funktion zurück, in der es vorwiegend langgezogene Harmonien anwachsen und abebben läßt. Ab der Mitte des Satzes finden sich immer zahlreicher werdende Reminiszenzen an Situationen von "Hidden Voices I", und die zunehmend belebter werdenden Holzbläser beginnen, ein regelrechtes Gegengewicht zu der verwickelten Streichtrio-Faktur aufzustellen. Auch die beiden verbleibenden Streichinstrumente übernehmen die Gestik des Streichtrios. Schließlich findet das Ensemble in bislang verhinderter Einhelligkeit zu einer Ruhe, in der sich die Klänge der parallel mitlaufenden CD-Zuspielung rätselhaft fremd ausnehmen.

Rationalität und Spontaneität sind in den "Hidden Voices" zusammengespannt: Einerseits folgen die formalen Abläufe klaren und kohärenten Proportionen, ihre Architekturen sind durchsichtig hell, und spiegelsymmetrische Harmoniefelder bilden einen stabilen Rahmen für melodische Transformationen. Andererseits treten besonders in den feinen Modulationen des Timbres "orphische" Elemente zutage. Sie verdeutlichen, wie sorgfältig Harvey an der Belebung des Klanges arbeitet, um ihn unmittelbar packend zu gestalten. Ob am Schreibtisch, am Klavier oder am Computer komponiert: der intendierte Klang muß jedesmal - ohne daß der Komponist auf die Sicherheit eines allgemeinen Konstrukts zurückgreifen könnte - imaginiert, ausprobiert und korrigiert werden.

Indem sich in Jonathan Harveys Musik in besonderem Maße mehrere Dimensionen durchdringen (die vertikale mit der horizontalen, die instrumentale mit der elektronischen, die globale mit der linearen und die meditative mit der ekstatischen), wird eine Synthese entgegen-gesetzter Kräfte angestrebt. Auch wenn offensichtlich ist, daß ein abschließender Punkt niemals erreicht werden kann, denn: "In einem metaphysischen Sinn verändert sich die Musik niemals: immer portraitiert sie das Spiel des Relativen gegen das Absolute."

Gerald Resch


Ausführende

Das Ensemble XX. Jahrhundert wurde 1971 von Peter Burwik gegründet, der es seither leitet. Dieses Solisten-Ensemble formiert sich aus ersten Mitgliedern der großen Wiener Orchester und freischaffenden Instrumentalisten. Sein Ziel ist es, die Musik des 20. Jahrhunderts bekannt zu machen und das Gegenwartsschaffen zu fördern. Unter diesem Aspekt wurden und werden zahlreiche Kompositionsaufträge an in- und ausländische Komponisten vergeben. Einen wesentlichen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Schönberg, Berg und Webern - sein Repertoire reicht von der "Wiener Schule" und Vertretern der klassischen Moderne bis hin zu Berio, Boulez, Saariaho, Stockhausen, Pärt, Huber... Zahlreiche Vertreter des internationalen Gegenwartsschaffens wurden vom "Ensemble XX. Jahrhundert" in Wien erstmals umfassend in Portrait-Konzerten vorgestellt, etwa Steve Reich, Vinko Globokar, Morton Feldmann, Younghi Pagh-Paan, Emanuel Nunes und Barbara Kolb.

Das Ensemble blickt seit seiner Gründung auf eine rege Konzerttätigkeit im In- und Ausland zurück.. Neben zahlreichen Auftritten in Wien - im Wiener Konzerthaus, im Rahmen der Wiener Festwochen, bei WIEN MODERN oder im ORF, mit dem schon seit 1975 eine intensive Zusammenarbeit besteht - war das Ensemble auch oftmals in den Bundesländern zu Gast, wie beim Steirischen Herbst, beim Carinthischen Sommer oder beim Linzer Brucknerfest. Darüber hinaus wurden auf Konzertreisen in Frankreich, Belgien, Polen, Deutschland, Schweden, Italien, England, Rußland, Aserbaidjan und in der Schweiz wichtige aktuelle Programme präsentiert.

Von den zahlreichen internationalen Festivals, zu denen das Ensemble eingeladen war, seien nur die Salzburger Festspiele, das Edinburgh-Festival, die Berliner Festwochen, das Festival de Lille, das Hong Kong Arts Festival und jenes von Huddersfield, der Warschauer Herbst und "Musica" in Strasbourg erwähnt. Zu den Aktivitäten aus letzter Zeit zählen: das "Metropolis" - Projekt (Lang, Matalon, IRCAM), Konzerte bei der Dartington International Summer School / England, Konzerttätigkeit in Mexiko City und die szenische Realisation von Sciarrino / "Lohengrin" und Schönberg "Erwartung" / bei den Wiener Festwochen 2001.


PETER BURWIK erhielt seine Dirigentenausbildung an der Wiener Musikakademie bei Hans Swarowsky und promovierte zum Doktor der Theaterwissenschaften an der Universität Wien - weiterführende Studien und enge Zusammenarbeit mit Bruno Maderna in Salzburg und Darmstadt beeinflußten Burwiks musikalische Entwicklung gleichermaßen nachhaltig. 1971 gründete er das Ensemble XX. Jahrhundert in Wien, das er seither leitet. Neben zahlreichen Konzerten in Wien - ORF, Wiener Konzerthaus, Wiener Musikverein, Wiener Festwochen - folgte er mit dem Ensemble zahlreichen Einladungen zu renommierten Festivals, Radio- und Fernsehstationen, wie Salzburger Festspiele, Berliner Festwochen, Edinburgh Festival, Warschauer Herbst, "Musica" (Strasbourg), Festival de Lille, IRCAM (Paris), Huddersfield-Festival, Hong Kong Arts Festival, Biennale Zagreb, Stockholm, Köln, Stuttgart, Gent, St. Paul de Vence, Lugano, Baku, Genf, Moskau... Zudem war Burwik Gast bedeutender Orchester. So leitete er etwa die Wiener Symphoniker, das RSO Berlin, das Orchestre Philharmonique Paris, das WOS Kattowice, das NDR-Symphonieorchester Hamburg sowie das ORF-Symphonieorchester, das Symphonieorchester des SF-Stuttgart, das Rundfunkorchester in Lissabon und das Orchestre National de Lille. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Gastdirigent zeichnete Burwik für Ur- und Erstaufführungen in Programmen verantwortlich, die ansonsten vorwiegend Werke des bekannten Repertoires einschlossen.
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