Adventkonzert 1999

EOS Quartett (Wien)

Adventkonzert 1999

EOS Quartett (Wien)
Sa, 18.12.1999, 20:00 Uhr

Das Schömer-Haus

Die beiden Streichquartette, welche im heutigen Adventkonzert zu hören sind, entstanden vor ziemlich genau hundert Jahren. Auch damals ging ein Jahrhundert zu Ende, und eine frische "Luft von anderen Planeten" (Stefan George) war für Manchen bereits spürbar.
Die beiden Streichquartette, welche im heutigen Adventkonzert zu hören sind, entstanden vor ziemlich genau hundert Jahren. Auch damals ging ein Jahrhundert zu Ende, und eine frische "Luft von anderen Planeten" (Stefan George) war für Manchen bereits spürbar.

Zwei junge Komponisten österreichisch-jüdischer Herkunft schrieben damals eine Musik, die einerseits noch deutlich in der Tradition ihrer verehrten "deutschen" Väter (Brahms, Dvoràk, Wagner) wurzelt, andrerseits aber schon auf ein Neues verweist, das allerding erst Jahre später eingelöst werden konnte: Musik, die ihre eigene Form und Sprache gefunden hat, trotz und gerade wegen der bewußten Auseinandersetzung mit ihrem geschichtlichen Hintergrund.

Theodor W. Adorno hat in seinem Aufsatz "Tradition" (1960/61) aufgezeigt, das wahrhaft Neues nicht aus der bloßen Zertrümmerung des Alten entsteht, sondern aus dem konsequenten Weitergehen eines geschichtlichen Weges bis zu dem Punkt, wo sich die das traditionelle Erbe von Innen her gleichsam auflöst. Zemlinsky - als Fortführer von Brahms - hat diesen Weg vorgebahnt, ohne ihn aber selbst bis zur letzten Konsequenz zu Ende zu gehen. Dies blieb seinem Freund und späteren Schwager Arnold Schönberg vorbehalten, dessen Werk auch in den zukünftigen Adventkonzerten des SCHÖMER-HAUSES einen wichtigen Stellenwert besitzen wird.

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES



Programm


Arnold Schönberg (1874 - 1951)

Streichquartett D-Dur o. op. (1897)

Allegro molto
Intermezzo. Andantino grazioso
Andante con moto
Allegro. Presto


Alexander Zemlinsky (1871 - 1942)

Streichquartett A-Dur op. 4 (1898)

Allegro con fuoco
Allegretto
Breit und kräftig
Vivace e con fuoco



EOS Quartett

Guillermo Büchler: Violine
Christian Blasl: Violine
Roman Bernhart: Viola
Andreas Pokorny: Violoncello



Christian Baier
Der Platz der Gedankens
Schönbergs und Zemlinskys frühe Streichquartette


"Das Orchester hatte mich zu seinem Dirigenten gewählt", erinnert sich Alexander Zemlinsky an seine Zeit bei dem Amateur-Ensemble "Polyhymnia", "es war nicht groß: ein paar Violinen, eine Bratsche, ein Cello und ein Contrabaß - eigentlich nur ein halber. Wir waren alle musikhungrig und jung und musizierten recht und schlecht, jede Woche einmal, drauflos. An dem einzigen Cellopult saß ein junger Mann, der ebenso feurig wie falsch sein Instrument mißhandelte, und dieser Cellospieler war niemand anderer als Arnold Schönberg."

Alexander Zemlinsky war Schönbergs erster und einziger Lehrer. Ein Lehrer-Schüler-Verhältnis stellte sich jedoch zwischen den beiden nie ein. Zemlinsky war es jedoch, der dem Freund und späteren Schwager viel handwerkliches Rüstzeug beibrachte, sodaß sich Schönberg noch 1933 in einem Entwurf zu einer Stichwortbiographie für ein Lexikon als "Schüler Zemlinskys" bezeichnete. Tatsächlich erwarb sich Schönberg - ein Lernender "by doing" - umfassende musikpraktische Kenntnisse bei der Erstellung des Klavierauszugs von Zemlinskys gerade preisgekrönter Oper "Sarema". Später bekannte er freimütig: "Ich verdanke Zemlinsky das meiste meiner Kenntnisse über die Technik und die Probleme des Komponierens. Ich war stets der Überzeugung und glaube es noch heute, daß er ein großer Komponist war. Vielleicht kommt seine Zeit früher als wir denken."

Schönberg "war zu der Zeit, als ich mit Zemlinsky bekannt wurde, 'Brahmsianer'. Seine Liebe galt sowohl Brahms wie Wagner, und in kurzer Zeit wurde ich gleichermaßen ein überzeugter Anhänger beider. Kein Wunder daher, daß die Musik, die ich damals komponierte, den Einfluß beider Meister widerspiegelte, zu dem noch eine Spur von Liszt, Bruckner und vielleicht auch Hugo Wolf hinzukam."

Die wechselseitige künstlerische Befruchtung zwischen Schönberg und Zemlinsky dürfte in erster Linie aber von den Gesprächen ausgegangen sein, die die beiden miteinander führten. Schönberg sah den damals technisch und musikpraktisch versierteren Freund als kritische Instanz. Als er im März 1897 - als Dreiundzwanzigjähriger - sein Streichquartett in D-Dur o. Op. schrieb, war es Zemlinsky, den er um Rat und kritisches Urteil bat. Während der Arbeit am dritten Satz zeigte Schönberg ihm die bisher fertiggestellten Teile des Werkes. Als Folge eines kritischen Gesprächs wurden der erste Satz vollkommen umgeschrieben und die anderen Teile überarbeitete.

Der Begriff "Teile" ist bewußt gewählt, denn Schönbergs Streichquartett besteht nicht aus "Sätzen" im herkömmlichen Sinn der Gattung, sondern setzt sich aus Teilen zusammen, die miteinander durch Motive, Wendungen, Phrasen feinmaschig vernetzt sind. Die Technik der thematischen Verschraubung der Teile zum untrennbaren Ganzen, wie sie dann in der "Kammersymphonie" op. 9 stilprägend wird, ist hier bereits ansatzweise vorformuliert.

Die Änderungen, zu denen Zemlinsky Schönberg riet, betreffen nicht allein satztechnische Fragen, sondern das Wesen des Musikalischen an sich. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach geistigen Zusammenhängen, die über das Äußerliche wie Motivik hinausgehen. Wenn die Literatur über Schönberg im Streichquartett in D-Dur von 1897 Züge ortet, die an Brahms und Dvorák erinnern, aber gleichzeitig vermerkt, daß aber "die Phase des Wagnerschen Idioms der kommenden Jahre noch nicht abzulesen ist" (Eberhard Freitag), dann übersieht sie die sublime Detailarbeit, mit der Schönberg den Gedanken der Einheit im Sinne der "absoluten Musik" verfolgt.

Wie viele junge Komponisten dieser Zeit - man denke an Mahler ebenso wie an Richard Strauss - befand sich Schönberg mitten im Spannungsfeld zwischen Wagner und Brahms. Die Diskussion über Fort- und Rückschritt in der Musik war noch nicht gänzlich ausgestanden, Hanslicks Polarisierung zwischen Brahms und den "Neudeutschen" hatte noch immer ihre - wenn auch bereits eingeschränkte und sich aufs Polemische beschränkende - Gültigkeit. Wer sich jedoch einer der beiden Parteien zugesellte, zog auf jeden Fall den kürzeren, denn "die größten Musiker", schreibt Schönberg über das geistige Klima im Entstehungsjahr des Streichquartetts in seinem programmatischen Aufsatz "Brahms, der Fortschrittliche", "waren unter dem Einfluß beider Meister groß geworden. Sie alle spiegelten die geistigen, emotionalen, stilistischen und technischen Errungenschaften der vorausgegangenen Periode wider. Was ein Streitobjekt gewesen war, war zum Unterschied zwischen zwei Persönlichkeiten, zwei Ausdrucksstilen geschrumpft, nicht gegensätzlich genug, die Einbeziehung von Eigenschaften beider in ein Werk zu verhindern."

Von Brahms hatte Schönberg die Strenge der Einheit und die formale, ja hierarchisch-systematische Proportionierung musikalischer Ideen übernommen. Dies schlägt sich auch in der Dimensionierung des Streichquartetts nieder und kann als Brahms-Nähe verstanden werden. Von Wagner wiederum stammt der semantische und syntaktische Bogen, den Schönberg von Anfang bis zum Ende des Werkes spannt, und der aus den einzelnen "Sätzen" "Teile" eines komplexen Ganzen macht.

Wenn Schönberg später anmerkt, daß Form in der Musik dazu diene, "Faßlichkeit durch Erinnerbarkeit zu bewirken", dann sucht er, Wagner und Brahms auf einen Nenner zu bringen, denn während der eine mittels Motivik haptisch-assoziativ-reminiszierende Zusammenhänge in der Musik zu schaffen und dabei die Struktur aus dem musikalischen Material zu entwickeln sucht, strebt der andere danach, Struktur - keineswegs aber "akademische Konstruktion"! - mittels Musik zum Klingen zu bringen und somit sinnlich erfaßbar zu machen. Ziel von beiden ist die Schaffung eines Ganzen, das über dem Unmittelbaren steht, und dem Flüchtigen, Verfliegenden, Vergänglichen, das nun einmal Musik ist, Dauer über den Moment des Erklingens hinaus zu sichern.

Von Wagner trennt Schönberg im Streichquartett in D-Dur gewiß die Sorgfalt, mit der er motivische Verknüpfungen sucht. Noch verweisen die Motive aufeinander, sie ergeben sich nicht in einer übergeordneten, intuitiven Logik auseinander, sie sind als Haltepunkt der Erinnerbarkeit und Reminiszenz gesetzt. Dies mag als Nähe zu Brahms (und als Orientierungssuche mittels Imitation) mißverstanden werden, gleichzeitig legt es aber auch das unterschwellige Verwandtschaftsverhältnis der nur äußerlich diametral entgegengesetzten Tendenzen von Brahms und Wagner bloß, denn die Grenzen zwischen organischer Motiventwicklung und reminiszierender Motivsetzung sind im Streichquartett fließend, gerade dann, wenn sich die motivische Arbeit von der Horizontale in die Vertikale begibt und sich auf die Ausformulierung harmonischer Gedankengänge richtet.

Dem wiederkehrenden Motiv als beständiger Vor-, Quer- und Rückverweis auf sich selbst stellt Schönberg auf harmonischer Ebene die beständige Verwandlung gegenüber. Kehrt ein Motiv wieder, dann nicht bloß, weil die gewählte Form es vorsieht, sondern in harmonisch bewußt anderer Umgebung, es erinnert zwar noch an sich, aber gleichzeitig verweist die Harmonik darauf, daß es sich hier um keine Wiederkehr im Sinne des Wiederholt-Werdens handelt, sondern um ein Weiterdenken eines Gedankens. Generell ist das Streichquartett vom erstarkenden harmonischen Bewußtsein geprägt. Schönberg meinte später, er wolle Gedanken mit Gedanken verbinden, "was auch die Funktion oder Bedeutung eines Gedankens aufs Ganze gesehen sein mag, es muß ein Gedanke sein, der diesen Platz in jedem Fall einnehmen muß, auch wenn er nicht diesem Zweck, dieser Bedeutung oder dieser Funktion dienen sollte." Der Gedanke an seinem ureigenen Platz (außerhalb funktionaler oder bedeutender Zusammenhänge) ist ein markantes Charakteristikum der zwei Jahre später entstandenen "Verklärte Nacht". Im Streichquartett in D-Dur findet es sich bereits vorformuliert.


Im Unterschied zu Schönberg, der die harmonische Linie als tragendes Element des Werkganzen favorisiert, stützt sich Alexander Zemlinsky bei seinem 1896 entstandenen Ersten Streichquartett in A op. 4 auf die melodische Linie. Ein Jahr vor Schönbergs Werk entstanden, eröffnet die Komposition einen gänzlich anderen Blick auf die Gedankenwelt, in der Schönberg und Zemlinsky damals lebten.

Zemlinsky galt für die Öffentlichkeit als einer "der begabtesten Nachfolger der Brahms-Generation". Unter dieser Prämisse prophezeite man ihm eine hervorragende Karriere, um ihm spätestens in den Zwanziger Jahren den Vorwurf der konservativen Nähe zu Brahms zu machen und ihn der Rückschrittlichkeit zu bezichtigen.

Für Brahms empfand Zemlinsky ehrfürchtige Bewunderung. Seine Musik war für ihn "faszinierend, unentrinnbar, beeinflussend, ja geradezu verwirrend". Brahms selbst war für Zemlinsky eingetreten, indem er seinem Verleger Simrock die Drucklegung des Trios op. 3 empfahl. Gleichzeitig - und unschwer aus der Partitur der Oper "Sarema" herauszulesen - ist die gedankliche Nähe Zemlinskys zu Wagner, gerade was die Tiefenschärfe der Musik und ihre Funktion als narrative wie psychologische Subebene in der Oper betrifft.

Das Erste Streichquartett, das bereits erwähnte Trio op. 3 und die Oper "Sarema" haben nicht nur das Entstehungsjahr gemeinsam. Ihnen allen wohnen - um es überspitzt zu formulieren - zwei Seelen in der Brust: Wagner und Brahms.

Deutlicher als bei Schönberg tritt Brahms als ideeller Orientierungspunkt zutage, Zemlinsky sucht jedoch gleichzeitig - bewußter als Schönberg - eine Verbindung zu Wagner. Doch während Schönberg die harmonische Ebene sukzessive von ihrer Funktionalität (Ausbildung eines gemeinsamen Nenners zur Schaffung eines organischen Ganzen) entbindet, sie also - wenn auch lange nicht so deutlich wie in "Verklärte Nacht" oder dem 1. Streichquartett von 1905 - als eigendynamische Ebene im Werk positioniert, sieht Zemlinsky sich noch genötigt, die harmonische Erneuerungsarbeit über die Polyphonie zu leisten, wenn ihm dabei auch gelegentlich das lineare Nebeneinander der Stimmen nur noch als Mittel zum affektiven Zweck dient. Die Fresko-Effekte, die durch stufenreiche Akkordfortschreitungen große Teile des Trios op. 3 prägen, finden sich in den polyphonen Abschnitten des Streichquartetts wieder, nur feiner noch nuanciert und vielgestaltig durchbrochen, näher an Wagner denn an Brahms.

Während bei Schönberg in der motivischen Gestaltung bereits von einer "Vernetzung" der Werk-"Teile" gesprochen werden kann, bedient sich Zemlinsky noch - mehr Brahms zugewandt - der "Vermaschung", wie Mathias Hansen bemerkt. Dies ist auch einer der ohrenfälligsten Unterschiede zwischen diesen beiden Streichquartetten, denn während bei der motivischen Vernetzung Rück- und Vorverweise möglich sind, und das Motiv im Moment des Erklingens sowohl auf sich als Erklungen-Seiendes wie als Noch-Erklingen-Werdendes verweist, forciert die Vermaschung das prozessuale, formdiktierte Voranschreiten des Werkes innerhalb seiner Chronologie (Masche nach Masche), in der sich das Motiv vom Zustand des Erklingens in den des Erklungen-Seins begibt, und sein Wieder-Erklingen eine Wiederkehr innerhalb der formalen Ordungsprinzipien darstellt, aber keine Rückkehr durch das Labyrinth der Verwandlung zu sich selbst.

Klar zeigt sich in der Gegenüberstellung der beiden Streichquartette das ihnen innewohnende Potential der Neuerungsbestrebungen, die Schönberg wie Zemlinsky verfolgten, und ihre Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen Wagner und Brahms. Während Zemlinskys Werk die Meisterschaft seines Schöpfers in der konzisen Ausformulierung biegsam gesanglicher Melodik und in der Gewichtung von polyphonen Spannungs- und homophonen Ruhephasen zeigt, birgt Schönbergs Werk in sich bereits den Keim jener Gedanken, die weniger zur Revolutionierung des Tonsystems denn zur Selbstvereinheitlichung des musikalischen Kunstwerkes im 20. Jahrhundert - etwa im Streichtrio op. 45 - führen werden.


EOS Quartett

Die Freude an der Kammermusik und die Lust am Quartettspiel verband 1992 vier Wiener Musiker zum Eos-Quartett. Ziel und Anliegen der vier Wiener Symphoniker war von Anfang an, Partituren in Ruhe zu studieren und die großen Werke der Streichquartettliteratur eingehend zu erarbeiten. Rund 40 Auftritte pro Saison bilden mittlerweile die stattliche Bilanz dieses intensiven Musizierens.

Wesentliche Impulse kamen durch die Zusammenarbeit mit dem Wiener Konzerthaus zustande: Von G. Schulz (Mozart), G. Kurtag (Schubert) und V. Fedosejew (Schostakowitsch) empfing das Quartett wertvolle Anregungen. Im Wiener Konzerthaus debütierte das Quartett 1994 mit Strawinsky und Beethoven und ist dort seither mit einem eigenen Zyklus zu hören. Schwerpunkte bildeten dabei die Aufführung aller Hindemith-Quartette, eine Brahms-Serie sowie das reiche Werk Joseph Haydns.

Das Repertoire des Eos-Quartetts spannt sich heute von J. S Bachs Kunst der Fuge bis zu den großen Kammermusikern unseres Jahrhunderts. Zahlreiche Auftritte im In- und Ausland, so etwa bei den Bregenzer Festspielen auf Schloß Hohenems, beim Klangbogen Wien sowie im Moskauer Konservatorium oder in Tokyo machten das Ensemble weit über seine Heimat hinaus bekannt.

Rundfunkaufnahmen und CD's entstanden unter anderem mit Werken von Haydn, Mozart und Brahms, sowie Strawinsky, Martinú und Hindemith. Neuerdings erschien eine CD mit Haydns Quartettfassung der "Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz", wozu Kardinal König den Textteil gestaltet.

Vor kurzem absolvierte das Quartett eine erfolgreiche Deutschlandtournee und wird im Sommer 2000 erstmals bei der styriarte / Graz gastieren. Kritiker heben das homogene, ausgewogene und perfekte Zusammenspiel, den weichen warmen Wiener Klang sowie die lebendige und impulsive Interpretation hervor.


Besetzung:

1. Violine: Guillermo Büchler
2. Violine: Christian Blasl
Viola: Roman Bernhart
Violoncello: Andreas Pokorny
1 / 1
Impressum