Musiktheater für zwei Schauspieler und Klavierduo von
Verena Joos (Text) und Reinhard Karger (Re-Komposition und Regie)
Christina Weiser und Klaus Beyer: Schauspiel Klavierduo Grau/Schumacher
Ein Mann und eine Frau. Früher einmal haben sie sich gefunden, dann im Lauf der Zeit wieder verloren. Sie können sich nicht
festhalten, aber voneinander lassen können sie auch nicht. So bleiben sie unter fortwährendem Hader ineinander verkeilt
was sie noch aneinander bindet, ist der Drang zum Rechthaben. Ein Rosenkrieg, in dem es nur Verlierer gibt.
Zwei Konzertflügel, vierteltönig gegeneinander verstimmt. Auch sie kämpfen, symmetrisch zum Bühnengeschehen, um den „rechten
Ton“. Ihr Repertoire an Argumenten rekrutiert sich aus dem Kopfsatz von Mozarts Sonate a-Moll KV 310. Dabei verwandeln sich
Motive und Töne des einen Klaviers im veränderten mikrotonalen Kontext des anderen zu schmerzlich dissonierenden Fremdkörpern
oder unerwiderten Klopfzeichen. Und doch scheint in diesen filigranen musikalischen Gebilden unversehens ein Gran Utopie aufzublitzen...
Der erste Teil von „also dann“ entstand 2009, als Auftragswerk für das Neue Musik Festival „Eclat“ in Stuttgart. Von Karlheinz
Essl stammt die Anregung, aus dem Einakter einen Abendfüller zu machen. Dieser wird, als Auftragswerk der von ihm kuratierten
Reihe „Randzonen“, im Schömer-Haus uraufgeführt.
EINIGE BIOGRAFISCHE SPEKULATIONEN ÜBER SIE UND IHN
Sie und Er sind ein Paar knapp jenseits der Vierzig, desgleichen knapp jenseits der 15. Hochzeitstags. Wo und unter welchen
Umständen sich die beiden kennengelernt haben das ist Gegenstand des ersten Teils des Stücks, insofern kann ich mir hier
Näheres ersparen. Als nicht viel später, der Gang aufs Standesamt stattfand, hatte sie soeben ihr Studium der Betriebswirtschaft
mit einem glänzenden Diplom abgeschlossen, er startete, nach zuvor absolviertem Prädikatsexamen, sein Referendariat im Landgericht.
Doch auf der Seite des Staates wollte er nicht bleiben; ihm schwebte eine Rechtsanwaltskarriere vor, Spezialgebiet Baurecht,
und eine angesehene Kanzlei war bereit, den Jungjuristen unter ihre Fittiche zu nehmen. Ein Karrierestart nach Maß. Sie wiederum
fand eine Anstellung als Vermögens- und Anlageberaterin in einer großen Bank. Beide waren bzw. sind Workoholics, beide erfolgreich
und in ihren jeweiligen Unternehmen hoch angesehen, wobei Sie sich nach ihrem zehnjährigen Jubiläum in der Bank entschloss,
in die Selbstständigkeit zu gehen, und, die Nase voll im Trend, eine zukunftsträchtige Boutique zu eröffnen: ein Korsettgeschäft.
Nicht, dass Sie selbst genäht hätte, nein: Sie schaffte Arbeitsplätze für zwei ambitionierte Näh-Künstlerinnen, und der Laden
brummte und brummt noch immer, Vorbild für weitere Neugründungen in einer Zeit, in der die lila Latzhose der Achtziger endgültig
einem neu-alten weiblichen Körperbewusstsein Platz gemacht hat. Sie war die Pionierin in der Stadt.
Der Kinderwunsch wurde in die Warteschleife verlegt, schließlich vergessen. Der stressige Alltag ließ derlei Träumereien nicht
zu, und im Urlaub stand der Eventcharakter vor der Familienplanung. Als die Vierzig erreicht waren und die biologische Uhr
somit beinahe ausgetickt hatte, sah man der Kinderlosigkeit stoisch, wenn nicht gar zufrieden ins Auge, denn: Die anfängliche
Verliebtheit war einem zunehmend von Zänkereien dominierten Verhältnis gewichen. Ein seltsamer Zustand: Das Penthouse, in
dem die beiden wohnen, beinahe abbezahltes Eigentum, ist ein Schmuckstück. Edles Mobilar, moderne Kunst (die beiden sammeln,
vorwiegend „Artisten vor dem Durchbruch“, und sie haben eine feine Nase für den Duft späteren Ruhms), Blick über die Stadt,
eine Küche wie beim Fernsehkoch (beide kochen gerne und gut), technisches Equipment vom Feinsten, eine anspruchsvoll gefüllte
Bibliothek, alles, was das Herz begehrt also - doch inmitten der innenarchitektonischen Pracht herrscht Leere. Warum ist das
so?
Ja, warum ist das so? Warum ist den Beiden „die Liebe einfach abhanden gekommen“, wie Erich Kästner diesen ja nun weißgott
nicht seltenen Prozess in Worte fasst? Schwer zu sagen. Vielleicht hat man sich und auf sich nicht mehr genügend geachtet,
vielleicht waren der Wagenpark der Kastenente aus Studentenzeiten folgte ein Golf, dann ein Golf GTI, dann ein BMW, erstmals
flankiert von einem Fiat Punto als Zweitwagen, dann ein Mercedes S-Klasse, neuerdings stehen zwei Porsche in der Doppelgarage,
denn: Warum soll Sie ein preisgünstigeres Auto fahren als Er? vielleicht also waren der Wagenpark, die Sprossen auf der
Karriereleiter, die Kunstsammlung, die immer kostspieliger werdende Urlaubslogistik wichtiger geworden als das ruhige Gespräch,
das sich aufeinander Einlassen, das umsichtige und respektvolle Erforschen der Andersheit des jeweilig Anderen?
Man begann, sich gegenseitig zu betrügen. Mäßig zwar, nicht regelmäßig, auch nicht mit der Hoffnung im Hinterkopf, auf diese
Weise endlich den adäquaten Partner zu finden Trennung schien keinem der beiden eine Perspektive. Es war das Bedürfnis nach
Abwechslung, nach dem Kick, nach nicht abgestandener, frischer Erotik, auch nach narzisstischer Bestätigung, welche die beiden
zu ihren Exkursionen in fremde Betten trieb. Nach Möglichkeit wurden diese erotischen Ausflüge geheim gehalten, was natürlich
nicht immer gelang: Die erste Eifersuchtsauseinandersetzung fand statt, nachdem Er Sie gleichsam in flagranti ertappt hatte,
mit einem Partner aus seiner Sozietät, in inniger Umarmung aus seinem Hauseingang kommend. Dieser Entdeckung folgte ein exorbitanter
Krach, dessen emotionale Hitzigkeit keineswegs durch die Tatsache gedämpft wurde, dass Er in der gleichen Zeit eine höchst
pikante Affäre mit seiner Sekretärin am Laufen hatte, ein Funke, der gelegentlich heute noch aufflackert. (Ja, zugegeben,
das ist ein Klischee, aber leider ein höchst oft gelebtes Klischee, da kann ich doch auch nichts für!) Würden Beziehungen
nach den Gesetzen der Logik ablaufen, so hätte Er ihre Untreue, froh, dass sein Fremdgang nicht ebenfalls entdeckt wurde,
mit mildem Tadel und der Geste gnädigen Verzeihens quittieren müssen. Doch das Gegenteil war der Fall, psychologisch en Detail
erklärbar, das spare ich mir jetzt, diese beziehungslogistischen Randbemerkungen sollen ja nicht in eine Dissertation ausarten
zumal Dissertationen in letzter Zeit ohnehin ein wenig in Verruf gekommen sind. Er also gnadenloser Richter, sie wiederum
weit weniger zerknirscht, als er es für angemessen gehalten hätte, sondern ihrerseits von diffusen Ahnungen geplagt, dass
er keineswegs so treu sei, wie er immer versicherte...
Es begann die Ära hektischen und verzweifelten Nachspionierens gegenseitigen Nachspionierens, notabene. Er: Ein neues Parfum?
Für wen kaufst du ein neues Parfum? Sie: Blondes Haar am Paletot, das gibt mir zu denken. Er: Dein Kilometerzähler hat 500
km mehr drauf als am Wochenende, wo warst du? Sie: Warum hast du dein Hemd in die Reinigung getan, war da Lippenstift drauf?
Er: Mit dieser Bluse kannst du keinesfalls in eine Sitzung gegangen sein. Sie: Eine Rechnung von der „Osteria“? Mit wem warst
du in der „Osteria“? Mit mir jedenfalls nicht. Undsoweiterundsoweiter...
Man hatte nun also die Ebene des Miteinander endgültig verlassen, zugunsten der Ebene des Hintereinander Herseins, des Einander
Überführens, des Rechthabens und Rechtbehaltens. Strindberg hat sich zum geistigen Paten dieser Ehe gemausert mit seinem
grausam ausweglosen Motto „nicht mit dir und nicht ohne dich“. Es gab eine Phase des Kampfes, in der Sie vorschlug, zu einem
Paaertherapeuten zu gehen, was Er ablehnte, dies sei nicht notwendig, wenn man bereit sei, sich gegenseitig zuzuhören (Er
meinte natürlich: wenn Sie bereit sei, Ihm zuzuhören), Ihr aber durchaus zuredete, einen Therapeuten aufzusuchen, das könne
nicht schaden. das Problem liege ja doch hauptsächlich bei Ihr. Unnötig zu erwähnen, dass Sie seine Sicht der Dinge nicht
geteilt hat. „Ich soll mich therapieren lassen, damit ich dich aushalten kann? Welch eine Zumutung!“
Hier sind wir ziemlich genau in der Gegenwart angelangt. Welch starke Bande dieses „nicht mit dir und nicht ohne dich“ zwischen
Paaren stiften kann die Realität beweist es massenweise. Als ich noch Schülerin war, habe ich in Basel eine phantastische
Inszenierung von Strindbergs „Totentanz“ gesehen, bearbeitet von Friedrich Dürrenmatt, der auch Regie geführt hat er hat
es in einem Boxring spielen lassen, zwölf KO-Runden, die bürgerliche Ehehölle als sportive Groteske.
Das ist in etwa das Erinnerungsbild, das mich zu meinem Text inspiriert hat.
Verena Joos
BIOGRAFIEN
Christina Weiser, Schauspiel
In Frankfurt am Main geboren, besuchte sie in ihrer Heimatstadt die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Nach dem
Schauspielabschluss war sie am Theater Heilbronn, der Landesbühne Wilhelmshaven und den Städtischen Bühnen Münster engagiert.
In Münster spielte sie u.a. Hamlet in der gleichnamigen Tragödie von Shakespeare und erhielt dafür den Förderpreis der Städtischen
Bühnen. Seit der Spielzeit 2004/2005 gehört Christina Weiser zum Schauspielensemble des Staatstheaters Kassel.
Klaus Beyer, Schauspiel
Geboren und aufgewachsen im Saarland, Deutschland. Schauspielausbildung in Wien, und auch erste Berufsjahre dort. Arbeiten,
untere anderem am Theater in der Drachengasse, Künstlerhaus Wien, Burgtheater, Theater der Jugend, Volkstheater sowie Arbeiten
für das ORF Kinderfernsehen. Von 2002 bis 2004 Ensemblemitglied am Theater Phönix, wo er auch mit Hakon Hirzenberger zusammenarbeitete.
Seit 2005 wieder frei in Deutschland, aber auch immer wieder Wien. Stationen unter anderem waren und sind: Kampnagel Hamburg,
Schauspiel Hannover, TAG Wien, Monsuntheater Hamburg, Staatstheater Kassel.
Verena Joos, Libretto
1951 in Lörrach geboren, hat Germanistik und Philosophie studiert und war Dramaturgin an den Theatern Pforzheim, Freiburg
und Kassel. Hier arbeitete sie zunächst am Staatstheater, nach 1996 als freie Journalistin für Printmedien und Rundfunk und
als Autorin, u. a. der Biographie „Mutter Courage des Theaters Ida Ehre“. Für ihre Revuen „Ich will keine Schokolade“ und
„Schluss mit lustig!“, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Reinhard Karger konzipiert und auf die Bühne gebracht hat, ist Verena
Joos 2004 mit dem Kulturförderpreis der Stadt Kassel ausgezeichnet worden. Weitere gemeinsame Produktionen folgten, zuletzt
das Schauspiel mit Musik „Quartett im Freien“. Seit 2009 lebt sie in Wien.
Reinhard Karger, Komposition und Regie
Geboren 1953 in Tübingen. Kompositionsstudium bei Erhard Karkoschka (Stuttgart), Gottfried Michael Koenig(Utrecht), Morton
Subotnick (Los Angeles) und Brian Ferneyhough (Freiburg/Breisgau). Arbeitsschwerpunkte: Kompositionen und Projekte im Bereich
Stimme Sprache szenische Darstellung sowie Kammermusik von 2005 bis 2008 Professur für zeitgenössische Musik und Projektarbeit
an der Universität Kassel, seit 2008 Kompositionsprofessur mit Schwerpunkt Medienkomposition an der Universität für Musik
und darstellende Kunst Wien, dort von 2011-2013 Leiter des Instituts für Komposition und Elektroakustik.
GrauSchumacher Piano Duo
Andreas Grau Götz Schumacher
Mit diesen klanglich-sublimen wie hinreißend-fulminanten Einspielungen haben sich Andreas Grau und Götz Schumacher endgültig
als das führende Klavierduo etabliert, das nur noch mit den legendären Gebrüdern Kontarsky verglichen werden kann und in
solchem Vergleich sogar noch die Interpretationskunst des Brüderpaares verblassen lässt. (Fonoforum)
Klug zusammengestellte Programme sind das Markenzeichen, mit dem sich Andreas Grau und Götz Schumacher als eines der international
renommiertesten Klavierduos profiliert haben. Ihr Miteinander am Klavier lässt sie als künstlerische Seelenverwandte erscheinen.
Mit ihrem weit reichenden Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten waren sie Gast bei diversen Festivals und Konzerthäusern (unter
anderem Kölner Philharmonie, Berliner Philharmonie, Cité de la Musique Paris, Schwetzinger Festspiele, Salzburger Festspiele,
Tonhalle Zürich, Klavierfestival La Roque d’Anthéron), und sie arbeiteten mit Dirigenten wie Michael Gielen, Lothar Zagrosek,
Emanuel Krivine, Heinz Holliger, Kent Nagano, Bertrand de Billy, Andrej Boreyko, Georges Prêtre und Zubin Mehta zusammen.
Zu den jüngeren Projekten gehören Konzerte mit dem Deutschen Symphonie-Orchester, dem Konzerthausorchester Berlin, dem Radio-Sinfonieorchester
Stuttgart und dem Bayerischen Staatsorchester München, dem Radiosymphonieorchester Wien und dem Orchestre National de Lyon
sowie Auftritte beim Lucerne Festival, im Wiener Konzerthaus, in der Cité de la Musique, im Gewandhaus Leipzig und im Concertgebouw
Brügge.
In die Saison 2012/13 startete das Duo mit Aufführungen von Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik zu Shakespeares Sommernachtstraum
im Rahmen einer szenischen Lesung mit Klaus Maria Brandauer im Schloss Neuhardenberg. Im September setzen die Musiker die
Zusammenarbeit mit dem Schauspieler in einem neuen Projekt fort: Diesmal stehen Mozarts Briefe und seine Musik im Mittelpunkt
der Aufführung, die bei den Niedersächsischen Musiktagen Premiere hat. Neben einem Besuch beim Klara Festival in Brüssel mit
dem gemeinsam mit dem Videokünstler Stephan Boehme de Marco konzipierten Rezital Kosmos stehen in der laufenden Saison zudem
zwei Rezitale bei der Salzburg Biennale sowie ein Auftritt an der Berliner Philharmonie mit Bela Bartóks Sonate für zwei Klaviere
und Schlagzeug an.