UNMÖGLICHE UTOPIEN

Elektronische Raummusik von Hans Tutschku

UNMÖGLICHE UTOPIEN

Elektronische Raummusik von Hans Tutschku
Mi, 11.08.2010, 19:30 Uhr

Essl Museum

Ich wählte die vier elektroakustischen Kompositionen des Abends unter dem Gesichtspunkt des Raumes als Ausdrucksmittel und wegen ihrer thematischen Auseinandersetzung mit dem Rituellen.
Hans Tutschku: Komposition, Elektronik, Klangprojektion

Das Werk von Niki de Saint Phalle ist jahrelang mit seiner täglichen Präsenz in mein Leben eingedrungen. Von meinem Büro im zweiten Stock am Place Stravinsky in Paris hörte und sah ich den Brunnen von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely: der scharfe Kontrast zwischen den farbenfrohen, lebenslustigen und komischen Figuren und den pedantisch vor sich hinwerkelnden schwarzen Maschinenwesen - ein Kunstwerk inmitten einer Metropole, in der Mitte des Lebens von BewohnerInnen und BesucherInnen - ein Ritual.

Ich wählte die vier elektroakustischen Kompositionen des Abends unter dem Gesichtspunkt des Raumes als Ausdrucksmittel und wegen ihrer thematischen Auseinandersetzung mit dem Rituellen.

Durch die Verwendung von Lautsprechern, die um das Publikum platziert sind, umgeben uns die Klänge - wie die Skulpturen und Werke von Niki. Sie sprechen, singen und spielen aus vielen Richtungen und lassen uns - wenn wir es zulassen - Teil ihres Rituals werden.


ROJO

8-kanalige elektroakustische Komposition (2004)
Auftrag des Radio Berlin-Brandenburg
Dauer: 15:06 min
Jonty Harrison gewidmet

Rojo ist ein Herantasten an den Gedanken der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster, über den Erdball verstreuter Klangphänomene. Die Komposition verbindet Aufnahmen verschiedener Kulturen und verschmelzt sie in ein "tiefrotes" Klangritual. Klang-Erinnerungsfetzen mehrerer Reisen vermischen sich, wechseln ihre Idendität, verlassen ihre Erkennbarkeit und werden zu Klangmassen - andere behalten ihre solistischen Eigenschaften und markieren Orte und Zeit.

EPEXERGASIA - NEUN BILDER

4-kanalige elektroakustische Komposition (2000)
Auftrag des IMEB Bourges
Dauer: 12:03 min
Beatriz Ferreyra gewidmet

Epexergasia - Neun Bilder beschreibt das Verschwinden, das sich Auflösen menschlicher Stimme. Die Komposition gliedert sich in neun Abschnitte, die teilweise klar voneinander unterscheidbar sind und teilweise graduell ineinander übergehen. Das Ausgangsmaterial stammt von Gesangs- und Lautäußerungen verschiedener Kulturen und einigen griechischen Sprachfetzen. Die neun Bilder sind kontrastierende Energieverhältnisse zwischen Stimm- und Zivilisationsklang einerseits und zwischen Auftauchen und Untergehen der Erkennbarkeit der menschlichen Stimme andererseits.

DISTANCE LIQUIDE

8-kanalige elektroakustische Komposition (2007) Auftrag des Ina-GRM
Dauer: 13:00 min Meiner Mutter gewidmet

Das Bild von flüssigen, sich bewegenden und schnell auflösenden Formen wurde in dieser Komposition zur Metapher für Klangbewegungen im elektroakustischen Raum. Jede musikalische Geste ist an eine spezifische Raumbewegung gebunden, die ihren Charakter unterstreicht. Ausgehend von aufgenommenen Sequenzen mit einem Gong, anderen Schlaginstrumenten, Trompete, Flöte und einigen vokalen Fragmenten, entwickeln diese eher entfernten Klangelemente einen gemeinsamen musikalischen Diskurs. Ihre sehr unterschiedlichen Spektren werden von Zeit zu Zeit auf die lautesten harmonischen Bestandteile reduziert, es entstehen pure Tonhöhen und Melodien, die die klanglichen Unterschiede der Ausgangsklänge nicht mehr erkennen lässt.

MIGRATION PÉTRÉE

8-kanalige elektroakustische Komposition (2001)
Auftrag des Französischen Kulturministeriums und Ina-GRM
Dauer: 13:35 min
Herbert Velasquez gewidmet

Zwei Bilder sind der Ausgangspunkt von Migration pétrée: ausschwärmende Steine und in Käfige eingesperrte Vögel. Beide Metaphern dienen als Modelle für Energie- und Intensitätsentwicklungen. Durch die starken Transformationen sind die Ausgangsklänge der Steine und Vögel aber nur an wenigen Stellen erkennbar. Wir treffen auf die Energien von Steinen am Strand unter dem Gewicht von Schritten; von kleinen Kieselsteinimpulsen in der Hand bis hin zur Wucht herabstürzender Felsbrocken. Einige Steine haben sich selbst in das Innere eines Klaviers "verirrt" und ergeben Klänge, die als harmonische Struktur der Komposition dienen. Die Steine treffen auf die Energien und Klänge von Tausenden von Vögeln, die in ihren Käfigen auf dem Marktplatz von Porto ausharren. Der Ausdruck ihrer lebendigen Energie steht im krassen Widerspruch zum Eingesperrtsein: sie erheben sich nur mühsam und kreuzen sich mit Steingruppen, die mit einer vogelartigen Leichtigkeit dahingleiten.


Hans Tutschku (geb. 1966) ist seit 1982 Mitglied des "Ensembles für Intuitive Musik Weimar". Er studierte Komposition in Dresden, Den Haag und Paris, begleitete ab 1989 Karlheinz Stockhausen auf mehreren Konzertzyklen, um sich in die Klangregie einweisen zu lassen und folgte 1996 Kompositionsworkshops mit Klaus Huber und Brian Ferneyhough.

2003 promovierte er bei Jonty Harrison an der Universität Birmingham (PhD). Er lehrte elektroakustische Komposition an der Weimarer Hochschule für Musik, am IRCAM in Paris, in Montbéliard und der Technischen Universität Berlin.

Seit 2004 wirkt er als Kompositionsprofessor und Leiter des Studios für elektroakustische Musik an der Harvard University (Cambridge, USA).

Einladungen zu Konzerten und Meisterkursen führten ihn in mehr als 30 Länder. Seine Werke wurden mit verschiedenen internationalen Preisen ausgezeichnet : Bourges, CIMESP Sao Paulo, Hanns-Eisler-Preis, Prix Ars Electronica, Prix Noroit und Prix Musica Nova. 2005 wurde ihm der Weimar-Preis verliehen.
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