ADVENTKONZERT 2004

Amber Trio Jerusalem

ADVENTKONZERT 2004

Amber Trio Jerusalem
Sa, 04.12.2004, 19:30 Uhr

Das Schömer-Haus

Im Mittelpunkt des heutigen Adventkonzertes steht die Musik dreier jüdischer Komponisten, die ein gemeinsames Schicksal teilten: um ihr nacktesLeben zu retten, mussten sie von den Nationalsozialisten fliehen und ihre Heimat verlassen.
Im Mittelpunkt des heutigen Adventkonzertes steht die Musik dreier jüdischer Komponisten, die ein gemeinsames Schicksal teilten: um ihr nacktesLeben zu retten, mussten sie von den Nationalsozialisten fliehen und ihre Heimat verlassen. Einer von ihnen – der große Arnold Schönberg – hat bereits seit vielen Jahren einen festen Platz in den Konzertprogrammen des SCHÖMER-HAUSES, und auch Alexander Zemlinskys Streichquartette wurde hier schon gespielt.

Beide Komponisten gelangten durch die konsequente Weiterentwicklung des klassisch-romantischen Musikdenkens an einen Punkt, wo sich die formbildende Kraft der Musik – die Tonalität – immer mehr aufzulösen begann. Dies geschah nicht vorsätzlich als destruktiver Akt, sondern aus einer „inneren Notwendigkeit“ (Webern), die der Tonalität selbst abgelauscht war. Deutlich hörbar wird dieser Prozess in den Frühwerken dieser beiden Komponisten, in denen man einerseits ihre Verbundenheit mit der musikalischen Tradition erkennt, andrerseits aber auch Zeuge des Aufbegehrens und Aufbrechens wird. Sind es bei Zemlinksy starke Bindungen an Brahms, die zu einer extrem verdichteten kontrapunktischen Schreibweise führen, so spürt man bei Schönberg den Einfluss von Wagners „Tristan“ mit seiner die Tonalität bis ans Äußerste ausreizenden Harmonik.

Die Ausführenden dieses Abends sind drei Musiker aus Israel, die zur Zeit in Wien leben und sich – als „ensemble-in-residence“ des Jüdischen Museums in Wien – vor allem der Musik von Emigranten verschrieben haben. Sie teilen in mancher Hinsicht die Gefühle jener drei Komponisten, deren Werke an diesem Abend gespielt werden:

Drei Komponisten aus Wien und Berlin, die ihre Heimaten verlassen mussten. Drei Musiker, die von Israel nach Wien gekommen sind. Viele komplexe Gefühle sind damit verbunden. Das AMBER TRIO Jerusalem präsentiert Musik von Komponisten, die selbst, deren Seele sowie deren Musik eine unglaubliche Reise gemacht haben.“ (Uri Dror)

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES


Programm

Haim Alexander (* 1915)
Orientalische Fantasie (2002)
für Klavier, Violine und Violoncello
Österreichische Erstaufführung

Alexander v. Zemlinsky (1871 – 1942)
Klaviertrio op. 3 (1896)
Fassung für Klavier, Violine und Violoncello

Arnold Schönberg (1874 – 1951)
"Verklärte Nacht" op. 4 (1899)
Nach dem Gedicht „Weib und Welt” von Richard Dehmel
Von Schönberg autorisierte Bearbeitung für Klaviertrio von Eduard Steuermann


Ausführende

AMBER TRIO Jerusalem
Lior Kretzer: Klavier
Uri Dror: Violine
Michael Croitoru-Weissmann: Violoncello


Christian Baier
SPANNUNGSFELDER

Es sind die Spannungsfelder, innerhalb ihrer zerfließenden Rändern finden Entwicklungen statt, schlagen sich Richtungen ein, behauptet sich Kunst als permanente Antithese, indem sie ihre Zeit – als Umstand wie als Umständlichkeit – zu ihrer Reibungsfläche erwählt.


Haim Alexander begibt sich mit seinem 2. Streichtrio „Orientalische Phantasie” gleich mehrfach in ein solches Spannungsfeld, indem er mittels der Wahl der instrumentalen Besetzung und des Titels Assoziationen und Erwartungshaltungen beim Publikum evoziert, die er im Laufe seiner Komposition konsequent nicht einlöst. Wer eine Phantasie im Sinne romantischer Literatur und den Orient als metaphorischen Illusionsteppich erwartet, wird enttäuscht. Der 1915 in Berlin geborene Komponist floh 1936 nach Jerusalem, wo er an der dortigen Musikakademie bei Stefan Wolpe studierte. Bis zu seiner Pensionierung 1981 unterrichtete Alexander Klavier, Komposition und theoretische Fächer an der „Jerusalem Academy for Music and Dance”. Sein Schaffen umfasst Klavier-, Vokal-, Kammermusik und Orchesterwerke. Unter anderem erhielt er 2001 den Musikpreis des Israelischen Ministerpräsidenten und im selben Jahr den Preis der Stadt Jerusalem für sein Lebenswerk. Wie auch sein Lehrer Wolpe setzt sich Alexander als Emigrant mit den Spannungsfeldern des europäischen Musikerbes ebenso auseinander wie mit der kulturellen Vielfalt, die seine Wahlheimat Israel – quasi als subkutaner Beitrag gegen den erstarkenden Nationalismus des Landes – in sich birgt. Der Komponist über sein Werk, das er 2002 fertig stellte: „Es besteht aus unterschiedlichen Teilen, ist aber in einen Satz zusammengefasst. Wie auch in meinem ersten Trio werden hier neben eigenen Melodien auch folkloristische Elemente verarbeitet. So hört man nach einer Einleitung die Verarbeitung eines persischen Tanzes, etwas später Anklänge an eine andere persische Melodie, und am Ende erklingt ein marokkanischer Tanz.


Alexander von Zemlinsky hat dem kulturellen Spannungsverhältnis zwischen Europa und seinem Exil in den USA nicht standgehalten. Nach einer mehrjährigen Flucht vor dem Nationalsozialismus über Wien und Prag starb er völlig mittellos 1939 in Larchmont (New York). Als persönlicher Freund Gustav Mahlers und Mentor Arnold Schönbergs war er sich Zeit seines Lebens der Divergenz zwischen den Umständen der Epoche und dem individuellen Anspruch auf persönliche und somit kreative Entfaltung bewusst. Bereits in seinen ersten kammermusikalischen Werken klingt Zemlinskys Skepsis gegenüber der unhinterfragten Übernahme von tradierten Sprach- und Formmustern an, gleichzeitig aber auch seine kritische Einstellung gegenüber dem vorschnellen „Bildersturm”. Zemlinsky war ein behutsamer Erneuerer, der im Unterschied zu seinem radikalen Schwager Schönberg eher sukzessive Unterwanderung des Bestehenden und eines musealisierenden Wertesystems betrieb denn Barrikaden errichtete. Von Mahler wie auch Johannes Brahms gefördert, ist er als der Fuß zu verstehen, den die aufkeimende Moderne in die Tür der konservativen Gesellschaft stellte, auf dass sie ihr nicht vor der Nase zugeworfen werde.

Zemlinskys Trio d-moll op. 3 aus dem Jahr 1896 zeigt den 25 jährigen Komponisten, der eben mit großem Erfolg das Konservatorium der „Gesellschaft der Musikfreunde” absolviert hat, an einem Scheideweg. Ursprünglich war es für Klarinette, Cello und Klavier konzipiert und in dieser Besetzung auch beim „Kompositionswettbewerb des Tonkünstlervereins” eingereicht worden. Die ungewöhnliche Instrumentenkombination war einerseits ein Embleme für Zemlinskys Verbundenheit mit der Wiener Klassik (und somit ein Verweis auf Beethovens Gassenhauer-Trio op. 11), aber auch eine Reminiszenz an das Schaffen von Johannes Brahms (op. 114, 0p. 115, op. 120), der – schon vom Tod gezeichnet – Zemlinskys Werk seinem Verleger Simrock ans Herz legte. Zemlinsky selbst sah bereits während der Komposition eine Alternativbesetzung für klassisches Klaviertrio vor. Obwohl der Komponist als Motto für sein Werk „Beethoven” wählt, ist es vordergründig eigentlich eine „Hommage à Brahms” und erfüllt sowohl in der melodischen Entwicklung wie in seiner Klanglichkeit durch stufenreiche Akkordfortschreitungen in einer Art „Fresko-Effekt” dessen romantisch-klassizistisches Ideal. Wulf Konold hebt den neuartigen Aspekt des Werkes hervor: „Die Töne, aus denen sich die Akkorde zusammensetzen, sind zugleich gewissermaßen Ton-‚Punkte’, welche sich zu melodischen Linien ausformen – und zwar nicht allein in den Ober- und Unterstimmen, sondern, in der gesamten Struktur: als Stimmen, als Ton-Satz.

Aus dieser Technik entwickelt Zemlinsky ein Netzwerk an motivischen und harmonikalen Bezügen, die er den drei Sätzen seines Trios unterlegt. Trotz der – für Jugendwerke typischen – „Kopflastigkeit” durch den dominierenden ersten Satz schafft Zemlinsky innerhalb der drei Sätze eine Ausgewogenheit durch eine ständige Verdichtung des kompositorischen Ausdrucks im Verlauf des mit dem Kolorit und der Ornamentik des Fin de siècle durchwirkten zweiten Satzes. Diese Verdichtung führt Zemlinsky – und damit tritt er aus der auf Vereinheitlichung, Abrundung und Gedankennivellierung ausgerichteten Ästhetik seiner Zeit – allerdings im dritten Satz nicht weiter, sondern bricht nach der das thematische Material des Kopfsatzes in all seiner Bedeutungsschwere ausbreitenden Reprise ab, um ein beinah burleskes Finale zu initiieren. Claus-Christian Schuster vergleicht diese Kohärenz folgerichtig mit einem unvermittelten gestischen Nebeneinander von „Steinernem Gast” und „Puck” und meint: „Offensichtlich sind wir mit diesem Schlusssatz in das Hofoperndepot geraten.


Es war eine Radioübertragung der “Verklärten Nacht”, die den Hollywood-Produzenten Irvin Thalberg 1936 auf den in die USA emigrierten Arnold Schönberg aufmerksam werden ließ. Er bot ihm an, die Musik zu dem Film „The Good Earth” nach dem Roman von Pearl S. Buck zu komponieren. „Glücklicherweise”, wie Schönberg Alma Mahler-Werfel berichtet, kam der Vertrag nicht zustande, denn er forderte 50.000 Dollar. Wahrscheinlich war es weniger Schönbergs finanzielle Forderung denn sein Beharren, dass Metro-Goldwyn-Mayer nichts an seiner Partitur ändern dürfe, die die Verhandlungen platzen ließ.

Bezeichnenderweise war es eine aus dem Geist der Spätromantik aufdämmernde Komposition, die das konservative Hollywood auf den Querdenker und Antipopulisten Schönberg aufmerksam machte. „Verklärte Nacht” nach einem Gedicht aus Dehmels Romanzen-Roman „Zwei Menschen” – an ihr scheiden sich die Geister der Definition. Handelt es sich bei dem ursprünglich für Streichsextett komponierten und später für Streichorchester umgearbeiteten Werk um die erste „kammersymphonische Dichtung” oder ist es die erste durchkomponierte Seelenschau der Musikgeschichte, in der die leisesten Regungen der menschlichen Gefühlsapparatur mit dem aus der Unruhe der menschlichen Triebfeder gespeisten Metrum wie unter starker Vergrößerung betrachtbar werden?

Dehmel selbst gesteht 1912 dem Komponisten: „Gestern abend hörte ich die ‚Ver-klärte Nacht’, und ich würde es als Unterlassungssünde empfinden, wenn ich Ihnen nicht ein Wort des Dankes für Ihr wundervolles Sextett sagte. Ich hatte mir vorgenommen, die Motive meines Textes in Ihrer Komposition zu verfolgen; aber ich vergaß das bald, so wurde ich von der Musik bezaubert.

Ich war damals dreiundzwanzig Jahre alt, leicht empfänglich und begann, in der Größe der von Mahler und Strauss gegebenen Vorbilder, symphonische Dichtungen in einem, nicht unterbrochenen Satz zu komponieren”, bekennt Schönberg 1950. „Höhepunkte dieser Periode waren ‚Verklärte Nacht’ und ‚Pelleas und Melisande’.” Er war gerade dem Bankdienst, den er nach dem Tod seines Vaters antreten musste, entronnen, schlug sich als Kapellmeister von Arbeiterchören durch. Schönbergs Freunde – u.a. sein späterer Schwager und einziger Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky – waren erstaunt, als „ich mit der Partitur der ‚Verklärten Nacht’ ankam und ihnen einen bestimmten Takt zeigte, an dem ich eine ganze Stunde gearbeitet hatte, während ich die gesamte Partitur von 415 Takten in drei Wochen schrieb. Dieser Takt ist tatsächlich etwas kompliziert, da ich, entsprechend der künstlerischen Überzeugung jener Zeit (der nach-Wagnerianischen), die Idee ausdrücken wollte, die dem Gedicht zugrunde lag, und mir eine komplizierte kontrapunktische Kombination als der beste Weg dazu erschien: ein Leitmotiv und seine Umkehrung gleichzeitig gespielt.

„Verklärte Nacht” ist nicht die einzige Auseinandersetzung Schönbergs mit Richard Dehmel (1863-1920). Bereits in Op. 2 und Op. 3 vertont er Verse des vielleicht populärsten Modeschriftstellers des Fin de siècle. Dehmel galt als paradigmatischer Vertreter einer das Philistertum in Nietzsches Gefolgschaft bekämpfenden Moderne - einer Moderne, die auch den Blick über die Grenzen in Richtung Frankreich nicht scheute. Seine Texte mit ihrer heute meist lächerlich erscheinenden Verquickung von Eros und lebensphilosophischem Pathos trafen den Zeitgeist und riefen – absatzsteigernd und publikumswirksam – die Zensur auf den Plan. Für Debütanten wie Franz Blei, Thomas Mann oder Johannes Robert Becher war Dehmel Mentor und Fürsprecher. Für den neu gegründeten „Insel”-Verlag war sein “Roman in Romanzen”, “Zwei Menschen”, zu Beginn des zweiten Verlagsjahres Erfolgsgarant. Die Verlagsankündigung verheißt „Offenbarungen”: Gefühl statt Verantwortung, erotische Libertinage anstelle Wilhelminischer Konvention. Ich und Welt, Kunst und Leben, in Glück und Genuss sind die Gegensätze vereint. Die „Verklärte Nacht”, der metaphysische Welten-Raum des Geständnisses von Seitensprung und ungewollter Schwangerschaft, postuliert gleichzeitig die Befreiung von Konventionen, überkommenen Denkmustern und Gefühlsstrukturen.

Bei der Komposition von Dehmels Gedicht, so Schönberg später, „leitete mich die Absicht, in der Kammermusik jene neuen Formen zu versuchen, welche in der Orchestermusik durch Zugrundelegen einer poetischen Idee entstanden sind. Zeigt das Orchester die gleichsam episch-dramatischen Gebilde tondichterischen Schaffens, so kann die Kammermusik die lyrischen oder lyrisch-epischen darstellen. Stehen nun auch die Mittel der letzteren hinsichtlich der tonmalerischen Ausdrucksfähigkeit hinter denen des Orchesters zurück, – ein Mangel, der nur beim Vergleich bemerkbar ist, der aber doch auch, wenn er wirklich einer ist, mit Rücksicht auf das Kolorit zu Gunsten der Sinfonie gegen das Streichquartett überhaupt spräche – so bleibt doch als Gemeinsames das formenbildende Prinzip. Dieses ist ein uraltes und leitet seinen Ursprung von jenen alten Meistern her, die in den – heute endlos scheinenden – Textwiederholungen solange über einen poetischen Gedanken musikalisch phantasierten, bis sie ihm alle möglichen Stimmungen und Bedeutungen abgewonnen - fast möchte ich sagen: bis sie ihn analysiert hatten.

1912 gestand Schönberg dem Dichter persönlich: „Sie, weit mehr als irgendein musikalisches Vorbild, Sie waren es, der das Partei-Programm unserer musikalischen Versuche ausmachte. Von Ihnen lernten wir die Fähigkeit, in uns hinein zu hören und dennoch ein Mensch unserer Zeit zu sein. Oder vielmehr eben darum: weil die Zeit vielmehr innen, in uns war, als außen, in der Realität. Von Ihnen aber lernten wir auch das Gegenteil: wie man ein Mensch aller Zeiten sein kann, indem man einfach ein Mensch ist. Dass ich fast immer zu Ihren Tönen erst den neuen Ton fand, der mein eigener sein sollte; den Ton, der vom Menschen das aussagt, was es noch über ihm gibt, den Ton, dessen sinnliches Diminuendo ein geistiges Crescendo ist; dessen Zartheit von der Kraft einer anderen Welt, dessen Kraft von der Vergänglichkeit unserer hiesigen Daseinsgefühle redet. Diesen Ton lehrte uns der Inhalt, den wir damals nicht leicht begriffen, mehr aber noch der Klang Ihrer Verse, den wir voll in uns aufnahmen.

Zemlinsky, der sich bereits früher für Schönbergs Kompositionen eingesetzt hatte, machte auch diesmal seinen Einfluss geltend. In seinen Jugenderinnerungen vermerkt er: „Ich versuchte, den Vorstand des Tonkünstlervereins zu einer Aufführung dieses Werkes zu bestimmen. Aber diesmal hatte ich kein Glück. Das Stück wurde ‚geprüft’, und das Ergebnis war absolut negativ. Ein Mitglied der Jury gab sein Urteil mit den Worten ab: ‚Das klingt ja, als ob man über die noch nasse Tristan-Partitur darüber gewischt hätte!’”

1902, drei Jahre nach der Fertigstellung der Partitur, wurde das Werk vom erweiterten Rosé-Quartett im Wiener Musikverein uraufgeführt. Schönberg ist mittlerweile Kapellmeister an Ernst von Wolzogens „Überbrettl” in Berlin. Zemlinsky berichtet über den Erfolg: „Mit Ausnahme einiger großen Längen und Gespreiztheiten in der Mitte des Werkes, habe ich einen großen Eindruck empfangen. Es sind Stellen von wirklicher Schönheit und tiefster Empfindung, sowie von echter großer ungewöhnlicher Kunst darin! Du musst unbedingt die Sache noch einmal redigieren, herausgeben und Verbreitung suchen. Es ist sehr viel Tristan noch zu hören – aber du weißt, wie ich darüber denke. Wir, unsere wirklichen Freunde, waren begeistert. Der Erfolg war so wie du ihn wünschtest. Starke oftmalige Hervorrufe mit Opposition gemischt. Wir haben die paar tüchtig niedergestunken. Es kommt für uns Alle die Zeit!!

Richard Heuberger, vermutlich bereits für die Ablehnung der Komposition durch den Tonkünstlerverein mitverantwortlich, urteilte in der „Neuen Freien Presse” über Schönbergs bis heute meistgespieltes Opus: „Da es noch genug ‚ungebildete’ Leute zu geben scheint, welche das Gedicht nicht kennen, so stieß diese Programm-Kammermusik (Gott schütze uns in Zukunft vor dieser Species!) auf das Unverständnis aller nicht secessionistisch angehauchten Zuhörer. Das Eine fühlte aber ein Jeder, dass diese verklärte Nacht erschrecklich lange gewährt haben muss, und nicht einmal durch allerhand Finessen, wie Pizziccati, Flageolet-Töne, Sordinen etc. war einiges Licht in sie zu bringen. Es ist nicht wegzuleugnen, dass Herr Schönberg es versteht, für Streichinstrumente wirkungsvoll zu schreiben; möge er diese Gabe bei einem gediegenen Kammermusikwerk auszunützen versuchen! Die durch die Novität aufgeregte Zuhörerschaft, welche applaudierte, zischte und schrie, wurde erst durch das herrlich schön gespielte Quintett in F-Dur von Brahms beruhigt.”

In der oft sehr polemisch geführten Diskussion um „Verklärte Nacht” spiegelt sich jenes kulturell-gesellschaftliche Spannungsverhältnis zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit wieder, aus dem heraus die europäische Moderne sich vor dem 1. Weltkrieg konstituierte und definierte. In einem Brief an H. Hinrichsen aus dem Jahr 1927 mokiert sich Schönberg über die Bewunderung, die seinem spätromantischen Werk angesichts seiner atonalen und dodekaphonischen Kompositionen zuteil wurde: „Ich pflege auf die Frage, warum ich nicht mehr so schreibe wie zur Zeit der “Verklärten Nacht”, die Antwort zu geben: ‚Das tue ich ja, aber ich kann nichts dafür, dass die Leute es noch nicht erkennen.’

Für das in den Konzerten des „Vereins für musikalische Privataufführungen” nach außen kommunizierte Selbstverständnis der „Zweiten Wiener Schule” war „Verklärte Nacht” ebenso wie die Kammersymphonie op. 9 Lehr- und Schlüsselwerk. In diesen frei finanzierten Konzerten kamen Kompositionen – sowohl Schönbergs, Bergs und Weberns, aber auch Mahlers oder Debussys und nicht zuletzt die legendären Arrangements von Strauss-Walzern – in kammermusikalischer Bearbeitung zur Aufführung. Die Hör- und Rezeptionsgewohnheiten des Publikums sollten an die „neuen” Klänge und Strukturen gewöhnt und Möglichkeit zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Wesen der Moderne als Konsequenz aus der kulturgeschichtlichen Tradition geboten werden. Eduard Steuermann legt in seiner Fassung von „Verklärter Nacht” für Klaviertrio das motivische Netzwerk, die melodischen Stränge und die Themenkomplexe der Komposition frei, macht die Gesamtanlage des Werkes von musikalischer und nicht inhaltlich narrativer Seite her transparent. Seine Version zielt auf die „Durchhörbarkeit” des Werkes als Psychogramm auf poetologischer Metakommunikationsebene ab.


Richard Dehmel: VERKLÄRTE NACHT

Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain,
der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen,
kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
in das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:

Ich trag ein Kind, und nit von Dir,
ich geh in Sünde neben Dir.
Ich hab mich schwer an mir vergangen.
Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
und hatte doch ein schwer Verlangen
nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
Und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,
da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
von einem fremden Mann umfangen,
und hab mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt:
nun bin ich Dir, o Dir begegnet.

Sie geht mit ungelenktem Schritt.
Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
Ihr dunkler Blick ertrinkt im Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:

Das Kind, das Du empfangen hast,
sei Deiner Seele keine Last,
o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um Alles her,
Du treibst mit mir auf kaltem Meer,
doch eine eigne Wärme flimmert
von Dir in mich, von mir in Dich.
Du wirst das fremde Kind verklären,
Du wirst es mir, von mir gebären;
Du hast den Glanz in mich gebracht,
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.

Er faßt sie um die starken Hüften.
Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.


Ausführende

AMBER TRIO Jerusalem

Das AMBER TRIO Jerusalem wurde im Jahr 1990 gegründet. Fünf Jahre zuvor trafen sich die Musiker im Jerusalem Music Center in Mishkenot Sha‚ananim, wo sie begannen, zusammen zu musizieren.

Sie nahmen an Meisterklassen mit Menahem Pressler, Claude Frank, Joseph Kalichstein, Jaime Laredo, Isaac Stern, Yo-Yo Ma und anderen teil. Im Jahr 1992 wurde das junge Trio eingeladen, in Wien beim ALBAN BERG QUARTETT zu studieren. Zwei Jahre lang studierten sie intensiv mit Prof. Georg Pichler, dem ersten Geiger, und anderen Mitgliedern des Quartetts. Das AMBER TRIO erhielt Stipendien der Alban Berg Stiftung und der America Israel Cultural Foundation. Zugleich arbeiteten sie auch mit Mitgliedern des HAYDN TRIO WIEN.

Seit dem Ende seiner Studien tritt das AMBER TRIO in Europa, Israel und Nordamerika auf. Sie gewannen mehrere Preise internationaler Musikwettbewerbe wie den 1. Preis des Jeunesses Musicales International Competition in Belgrad und waren Finalisten im Viotti International Music Competition in Vercelli (Italien) und beim Israeli Music Award in Jerusalem.

Das AMBER TRIO trat in bedeutenden Konzertsälen wie dem Wiener Konzerthaus, dem Berliner Konzerthaus, dem Brucknerhaus Linz, Rudolfinum Prag, de Doelen Concertgebouw Rotterdam und der Henry Crown Symphony Hall in Jerusalem und bei wichtigen Festivals wie den Bayreuther Festspielen, dem Israel Festival, der Styriarte (Österreich), den Wiener Festwochen, dem Historical Center Festival (Mexiko) und dem Janácek Festival (Tschechien) auf.

Seit 1991 haben sie regelmäßig Aufnahmen für die Rundfunkstation Israeli Broadcasting Authority gemacht und geben Live-Konzerte in Radio und Fernsehen. Sie traten auch im Bayerischen Rundfunk, dem ORF, 3sat und anderen Rundfunk- und Fernsehanstalten auf.

Zusätzlich zu ihrem weiten Standard-Repertoire spielt das AMBER TRIO auch weniger bekannte Klaviertrios und zeitgenössische Kompositionen. Viele Komponisten in Israel und Europa wie Yehezkel Braun, Ami Maayani, Michael Wolpe, René Clemencic, André Haidu, Aharon Harlap, Tristan Schulze, Haim Alexander und andere schrieben oder schreiben gerade Werke für das AMBER TRIO. Ein anderes Projekt, an dem das AMBER TRIO beteiligt ist, ist die Erforschung und Aufführung der Werke von Komponisten, die während des Zweiten Weltkriegs gezwungen waren, ihre europäischen Heimatländer zu verlassen. Sie nahmen mehrere CDs mit Werken israelischer und jüdischer Komponisten auf, eine davon in Zusammenarbeit mit dem ORF.

Das AMBER TRIO ist „Ensemble– in–Residence” des Jüdischen Museums in Wien.
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